Dr. Joanna Kujawa, die kanadische Autorin und Gelehrte mit polnischer Abstammung, forscht seit vielen Jahren über Mythologien der Göttinnen, über weibliche Spiritualität und ganz besonders über die Bedeutung von Maria Magdalena in der ‚Untergrund-Spiritualität‘, die seit den Zeiten Jesu nie ganz verloren gegangen ist.
Joanna Kujawa bezeichnet sich gerne auch als ‚Spirituelle Detektivin‘.
Sie hat nebst vielen weiteren Schriften ein ‚Werkbuch‘ verfasst mit dem Titel  Journaling to Manifest the Lost Goddess in Your Life  (Tagebuch zur Manifestation der verlorenen Göttin in deinem Leben), bestehend aus zwei Teilen. Teil I  gibt eine Einführung in Maria Magdalena und Sophia als zwei Archetypen der Göttin, die die mächtigen Schattengöttinnen in unserem Leben darstellen, in Teil II werden einfache geführten Tagebuchübungen vorgeschlagen, „die uns helfen können, den verlorenen Traum von uns selbst wiederherzustellen, sowohl in uns selbst als auch im größeren Universum.“

Auf ihrem Blog „Goddess News“ finden sich viele lesenswerte Essays, die sich um das Thema Göttin, weibliche Mystik und praktische Spiritualität drehen. Wir möchten euch das Werk von Joanna Kujawa in (vorerst) zwei Beiträgen vorstellen. In unserer ersten Übersetzung wird gezeigt, welche Gemeinsamkeiten und welche unterschiedliche Ausprägungen verschiedene Göttinnen-Archetypen haben, und dass sie letztlich alle derselben Urenergie entstammen. Es wird die Frage aufgeworfen, die jede Leserin und jeder Leser für sich individuell beantworten soll, von welchem dieser Göttinnen-Archetypen sie/er sich besonders angezogen fühlt und welche Aspekte noch der Entfaltung harren. T.

Hathor, Isis, Mutter Maria und Maria Magdalena – Wer erzählt dir deine Geschichte?

Von Joanna Kujawa, ‚Spiritueller Detektiv‘, auf joannakujawa.com; übersetzt von Taygeta

„Wenn du spirituell sein willst, stelle unbequeme Fragen“.

Nach einer Reihe von Artikeln über die Linie der Göttinnen, die mit Maria Magdalena verbunden sind, bin ich zu dem Schluss gekommen, dass es eine signifikante, aber verdachterregende Dualität in der Darstellung von zwei konkurrierenden weiblichen Archetypen von Göttinnen gibt: Maria die Mutter und Maria Magdalena.

Ich habe immer behauptet, dass diese Art von Dualität nicht nur künstlich ist, sondern zweifellos auch ein Produkt des asketischen Geistes alter Patriarchen, die Angst vor allem Spass und vor Sex haben, und die nicht in der Lage sind, eine Frau zu begreifen, die sowohl intellektuell als auch sexuell ermächtigt ist und gleichzeitig auch eine Mutterfigur sein kann.

Der Grund, warum ich behaupte, dass dies nur das Ergebnis der begrenzten und schlechten Vorstellungskraft paranoider Patriarchen sein könnte, ist der, dass fast jede Frau – wenn sie ihre Kräfte und Möglichkeiten erforscht – weiss, dass sie, wenn sie es so will, alles oder in einzelnen Teilen das oben genannte sein kann. Was sich die Patriarchen nicht vorstellen konnten, haben doch viele Frauen geschafft zu leben.

Aber das war nur Intuition von meiner Seite, bis ich …. naja … meine Nachforschungen anstellte. Am Anfang wollte ich einfach und absichtslos den Archetyp Isis erforschen, denn es wurden viele sehr seltsame Dinge über sie geschrieben, so dass ich die Dinge richtig stellen wollte. Ausserdem bin ich mit meinem akademischen Hintergrund oft misstrauisch gegenüber der Aufnahme der alten Göttinnen durch das ‚New Age‘, wo Phantasie und Forschung zu frei vermischt sind – so glaubte ich. Glücklicherweise stiess ich auf ein wunderbares Buch, Goddesses in Myth, History and Culture (Göttinnen in Mythos, Geschichte und Kultur) und fand darin ein Kapitel über Isis mit ausreichenden Referenzen und Recherchen, um mich zufrieden zu stellen.

Wie ich in meiner Serie von Blogbeiträgen über Inanna, Ishtar und Maria Magdalena besprochen habe, hat Isis nicht nur eine Beziehung zu allen dreien von ihnen, sondern sie hat auch für sich allein eine faszinierende ägyptische Geschichte. Obwohl ich keinen Zweifel daran habe, dass sie eine alternative Version von Inanna ist, hat sie auch andere Verbindungen – und eine von ihnen ist jene mit Hathor.

Nun, ich liebe Hathor, denn sie ist eine sexy Mama, die gerne ihren Spass hat – und sich nicht dafür entschuldigt. Eine wahre Bonne Vivante. Sie wird oft genauso dargestellt wie Isis, als eine schöne junge Frau, und ihre Darstellungen sind teilweise nicht voneinander zu unterscheiden. Dafür gibt es einen guten Grund. Hathor verschmolz irgendwann mit Isis, wie K. K. Rodin in einem Kapitel in ihrem Buches ‘From Heaven to Hell, from Virgin Mother to Witch: The Evolution of the Great Goddess of Egypt’ („Vom Himmel zur Hölle, von der Jungfrau Maria zur Hexe: Die Evolution der Grossen Göttin von Ägypten“) erwähnte. Sie wird auch oft als die Gefährtin von Horus erwähnt, der Isis‘ Sohn war.

Ich möchte, dass man hier sehr deutlich darauf achtet, wie Mainstream-Medien und Mainstream-Forschung Göttinnen ganz allgemein darstellen: Göttinnen werden immer zuerst als Gemahlin eines anderen (Gottes) oder als Mutter definiert, auch wenn sie historisch vorher da waren und mächtiger waren als die Götter, die nach ihnen folgten!

Aber abgesehen von dieser wichtigen Beobachtung werden sowohl Hathor als auch Isis oft mit Hörnern auf dem Kopf dargestellt – etwas, das sie von einer noch früheren Göttin, Nut, die die ursprüngliche ägyptische Mutter des Himmels war, geerbt haben. (Der Himmel wurde in späteren Mythologien fast ausschliesslich als männlich betrachtet, da er mehr als „spirituell“ galt als die Erde, während das Weibliche als an die Materie gebunden betrachtet wurde und daher als niedriger angesehen wurde.)

Andere Darstellungen der Hathor-Isis sind ihre Bildnisse in der Form einer Kuh, als geflügelte Göttin, als Löwin (wenn sie wütend ist), als Katze und sogar als Nilpferd. Die Kuh hatte nur gute Konnotationen, denn die Hathormilch wurde als die „Milch des Lebens“, bestehend aus einer wunderbaren irdischen Kraft des Lebens und der Freude, verstanden. Sie war eine Göttin, die es liebte zu tanzen und die Sinnlichkeit des Lebens in all seinen Formen genoss. In diesem Aspekt ist die Hathor der mesopotamischen Göttin Ishtar sehr ähnlich.

Siehe dazu auch unseren Beitrag  Der Buddha lächelt aus dem gleichen Grund, aus dem Oshun lacht

Aber die Ähnlichkeiten zwischen Hathor und Isis enden hier. In vielerlei Hinsicht nimmt Isis andere und ernstere Qualitäten an, wie z.B. als Verkörperung von spiritueller Weisheit, sowie als Göttin der Unterwelt und Magie. Sie ist die Jungfrau-Mutter des Horus und die Schwester-Frau von Osiris, den sie auferweckt hatte.  Die letzten beiden Qualitäten wurden später ins Christentum kopiert und an das Bild der Heiligen Familie, sowie an die Geschichte der Auferstehung in Gegenwart von Maria Magdalena angepasst (siehe meinen Blog oder Youtube-Video über die Linie der Göttinnen….).

Die geheimnisvolleren und magischeren Eigenschaften von Isis, so K. K. Rodin, umfassten den Einfluss auf Sonne und Mond, den Einfluss über den Lauf der Zeit, die Fähigkeit, uns den Atem des Lebens zu geben, die Fähigkeit, uns unsere irdische Persönlichkeit (unseren Ba) zu geben und die Fähigkeit zu heilen. Deshalb waren viele der Priester in ihren Tempeln auch Ärzte.

Interessanterweise war Isis, wie die sumerische und assyrische Göttin Inanna vor ihr, auch in göttlichen Unfug verwickelt. Wie erzählt wird, überlistete Isis den alten Gott Ra und zwang ihn, ihr seinen geheimen Namen zu verraten, in dem seine Macht enthalten war. Das war genau gleich, wie Inanna ihren Grossvater betrogen hatte, um ihm sein ME (seine Macht) zu stehlen. Doch während Inanna ihren Grossvater einfach nur betrunken machte, würgte Isis Ra fast zu Tode, indem sie aus Erde und ihrem Speichel eine Schlange schuf. Die gleiche Geschichte wird später in verschiedenen Versionen in der Bibel wiederholt, zum Beispiel bei Evas schelmischer Zusammenarbeit mit der Schlange im Garten Eden und bei Jakobs Diebstahl des Segens seines Bruders. Der Unterschied besteht darin, dass den weiblichen Protagonistinnen die ganze Macht (gut und schlecht) genommen und an Männer weitergegeben wurde.

Der Einfluss von Isis war in frühchristlicher Zeit noch so gross, dass sie von den Kirchenvätern nicht leicht abgelehnt werden konnte. Isis hatte Tempel in ihrem Namen im ganzen Römischen Reich und viele mächtige Familien huldigten ihr. Der letzte Tempel in ihrem Namen wurde erst im sechsten Jahrhundert zerstört, was ein grosses Zeichen für die Ausdauer ihrer Macht ist. [Der bedeutende Isis-Tempel auf der Insel Philae bei Assuan wurde 535/37 von Kaiser Justinian I.  gewaltsam geschlossen und in ein christliches Gotteshaus umfunktioniert]

Eine der interessanteren Fragen ist: Was geschah danach?

Und hier habe ich Rodins Essay am meisten genossen, weil sie zeigt, wie die Kirche im fünften Jahrhundert, als die Anbetung der Isis noch mächtig war, einfach beschlossen hat, Isis als Heilige Mutter zu übernehmen – was sie ja die ganze Zeit über als Mutter des Horus war (und ja auch oft als solche dargestellt wurde). Das heisst, sie benutzten den „schönen“ und mütterlichen Teil von Isis und nahmen sie so in das christliche Dogma auf – aber erst, nachdem sie Isis/die Heilige Mutter neu interpretiert und sie ihrer „gefährlicheren“ sexuellen und mysteriösen / magischen Eigenschaften beraubt hatten.

Was den magischen und „dunkleren“ Teil von Isis betrifft, so wurde dieser zu dem einer „verdammten Hexe“ umgestaltet. Die Hexe war immer Teil der heidnischen Traditionen Europas – es waren die letzten erhaltenen Traditionen, in denen weiblichen Priesterinnen vorkamen. Ellen Reed schreibt in ihrem Buch Circle of IsisAncient Egyptian Magic for Modern Times  (Die altägyptische Magie für die Neuzeit), dass nach dem zweiten Weltkrieg die Verehrung der Isis ein Teil der Wiederbelebung der Wicca-Tradition (der moderne ‚Hexerei‘) wurde. Diese Tradition beinhaltet Rituale, durch die „der Priester eine Göttin durch eine Priesterin anruft, die als Gefäss dient … die Göttin spricht dann durch eine Priesterin“ zum Rest der Gruppe oder zu einem Einzelnen.

Ich persönlich glaube, dass Isis eine gewisse Beziehung zur mysteriösen gnostischen Sophia hat – denn auch sie kombiniert die Archetypen von Weisheit und Sexualität. Aber ich werde in zukünftigen Blogs darüber schreiben.

Also, Isis‘ göttliche Genealogie ist komplex und ich bleibe bei meinem ursprünglichen Standpunkt – bis ich eine bessere Erklärung finde –, dass Isis‘ Geschichte, wie viele verdrängte Darstellungen des göttlichen Weiblichen, die gleiche wiederkehrende Geschichte der Göttin ist, die unter vielen verschiedenen Namen und mit nur geringen Änderungen in Handlung und Charakterentwicklung auftritt. Ich habe keinen Zweifel, dass die Geschichte von Isis eine Geschichte ist, die wieder in Erinnerung gerufen, wieder ausgegraben und wiedererzählt werden will.

Der Nacherzählungsteil liegt bei uns, denn wir selbst haben alle die Kontrolle über die Wahl unserer eigenen Archetypen und unserer eigenen Geschichten. Die Zeiten, in denen geheiligte Bürokraten aus institutionalisierten Glaubenssystemen heraus diese Entscheidungen für uns getroffen haben, sind vorbei.

Ich würde mich freuen, deine Gedanken und Gefühle in den Kommentaren zu hören,

Mit Liebe
Dr. Joanna Kujawa