Von Zat Rana; auf UPLIFT; übersetzt von Taygeta
Die verlorene Kunst der Einsamkeit
Bevor er im Alter von 39 Jahren starb, erbrachte Blaise Pascal bedeutende Beiträge zur Physik und zur Mathematik, insbesondere zur Geometrie, Wahrscheinlichkeitsrechnung und Hydrostatik.
Sein Lebenswerk umfasste aber viel mehr als seine verdienstvollen naturwissenschaftlichen und mathematischen Arbeiten, die einen starken Einfluss hatten auf die Entwicklung dieser Wissenschaftszweige. Viele Bereiche, die wir heute unter dem Sammelbegriff der Sozialwissenschaften einordnen, haben sich ebenfalls auf dem von ihm mitgestalteten Fundament weiterentwickelt.
Interessanterweise hatte er viele seiner grundlegenden Arbeiten in seinen Teenagerjahren gemacht, zahlreiche auch in seinen Zwanzigern. Als Erwachsener begann er, inspiriert durch eine religiöse Erfahrung, sich sehr stark in Richtung Philosophie und Theologie zu bewegen. [Er zählt noch immer zu den faszinierendsten Gestalten der Philosophiegeschichte. Er war ein tiefer, religiöser Denker, der insbesondere durch seine beissende Kritik an der opportunistischen und oft spitzfindigen jesuitischen Moraltheologie und dem offensichtlichen Machthunger der Jesuiten bekannt wurde.]
Kurz vor seinem Tod stellte er Fragmente mit privaten Gedanken zusammen, die später als Sammlung unter dem Namen Pensées veröffentlicht wurden.
Während es in dem Buch vor allem um die Gedanken eines Mathematikers geht, wieso ein Leben des Glaubens und der [religiösen] Überzeugungen gewählt werden sollte, so ist doch das eigentümliche daran das klare und geordnete Nachsinnen darüber, was es bedeutet, Mensch zu sein. Es ist eine Blaupause unserer Psychologie, lange bevor die Psychologie als formale Disziplin entstanden ist.
Es gibt in den Pensées eine Menge zum Nachdenken anregendes Material, das zu zitieren sich lohnt, und es bringt die Natur des Menschen aus verschiedenen Blickwinkeln zur Sprache, aber einer seiner berühmtesten Gedanken fasst den Kern seiner Argumentation sehr treffend zusammen:
„Alle Probleme der Menschheit resultieren aus der Unfähigkeit des Menschen, allein in einem Raum zu sitzen.“
Laut Pascal fürchten wir die Stille der Existenz, fürchten die Langeweile und wählen stattdessen ziellose Ablenkungen, und wir können nicht anders, als vor den Problemen unserer Emotionen in den falschen Komfort des Verstandes zu flüchten.
An der Wurzel sitzt das Problem, dass wir nie die Kunst der Einsamkeit lernten.
Die Gefahren der vielen Verbindungen
Mehr als je zuvor klingt heute Pascals Botschaft glaubhaft. Wenn es eine Beschreibung gibt von dem, was den Fortschritt der letzten 100 Jahre darstellt, dann ist es die Befähigung, Verbindungen herzustellen und zu nutzen.
Informationstechnologien dominieren unsere kulturelle Ausrichtung. Vom Telefon über das Radio bis zum Fernseher und dem Internet haben wir Wege gefunden, uns alle einander näher zu bringen und einen ständigen weltweiten Zugang zu nutzen.
Ich kann in meinem Büro in Kanada sitzen und mich über Skype praktisch überall hinbringen. Ich kann mich auf der anderen Seite der Welt befinden und trotzdem wissen, was zu Hause vor sich geht.
Ich denke nicht, dass ich die Vorteile all dessen hervorheben muss. Es beginnen sich aber auch immer mehr die Nachteile zu zeigen. Abgesehen von der aktuellen Diskussion über Datenschutz und das Datensammeln gibt es vielleicht einen noch nachteiligeren Nebeneffekt.
Wir leben jetzt in einer Welt, in der wir mit allem verbunden sind – ausser mit uns selbst.
Wenn Pascals Bemerkung über unsere Unfähigkeit, allein in einem Raum ruhig zu sitzen, schon damals auf die menschliche Verfassung im Allgemeinen zutraf, dann ist das Problem aufgrund der heute verfügbaren Optionen sicherlich um eine Grössenordnung grösser geworden.
Die Logik ist natürlich reizvoll: Warum allein sein, wenn man es nie muss?
Als Replik kann man sagen, dass es nicht dasselbe ist, nie allein zu sein, wie sich nie allein zu fühlen. Schlimmer noch, je weniger man sich in der Einsamkeit wohl fühlt, desto wahrscheinlicher ist es, dass man sich selbst nicht kennt. Und dann wird man noch mehr Zeit damit verbringen, das Alleinsein zu vermeiden und sich auf anderes zu konzentrieren. Dabei wird man süchtig nach den gleichen Technologien, die uns eigentlich befreien sollten.
Nur weil wir den Lärm der Welt dazu nutzen können, die Unannehmlichkeiten im Umgang mit uns selbst auszublenden, heisst das nicht, dass diese Unannehmlichkeiten verschwinden.
Fast jeder hält sich selbst für selbstbewusst. Wir denken, dass wir wissen, wie wir uns fühlen, was wir wollen und was unsere Probleme sind. Aber die Wahrheit ist, dass nur sehr wenige Leute das wirklich tun. Und diejenigen, die das tun, werden die ersten sein, die sagen, wie wechselhaft das Selbstbewusstsein ist und wie viel Zeit des Alleinseins es braucht, um dorthin zu gelangen.
In der heutigen Welt können Menschen ihr ganzes Leben leben, ohne wirklich unter die Oberflächenmasken zu sehen, die sie tragen.
Wir haben zunehmend den Kontakt zu dem, was wir sind, verloren, und das ist ein Problem.
Langeweile als Stimulation
Wenn wir das Grundlegende dazu ansprechen – und auch das ist etwas, das Pascal tut – dann ist unsere Abneigung gegen die Einsamkeit eigentlich eine Abneigung gegen die Langeweile.
Im Grunde ist es nicht notwendigerweise so, dass wir süchtig nach einem Fernseher sein müssen, denn es gibt auch etwas Einzigartiges dabei, das uns befriedigen kann, genauso wie wir nicht süchtig sein müssen nach den meisten Stimulanzien, denn der Nutzen kann die Nachteile überwiegen. Doch wir sind in der Tat süchtig nach einem Zustand, in dem wir uns nicht langweilen.
Fast alles, was unser Leben auf ungesunde Weise kontrolliert, findet seine Wurzel in unserem Erkennen, dass wir das Nichts eines Nichtvorhandenseins scheuen. Wir können uns nicht vorstellen, einfach nur zu sein, stattdessen müssen wir immer etwas tun. Und deshalb suchen wir Unterhaltung, wir suchen Gesellschaft, und wenn dies scheitert, jagen wir nach noch höheren Höhen.
Wir ignorieren die Tatsache, dass wenn wir uns diesem Nichts nicht stellen, es dasselbe ist, wie uns selbst nicht wirklich anzuschauen. Und niemals uns mit uns selbst zu konfrontieren ist der Grund, warum wir uns einsam und ängstlich fühlen, obwohl wir so eng mit allem anderen um uns herum verbunden sind.
Glücklicherweise gibt es eine Lösung.
Der einzige Weg, um zu vermeiden, von dieser Angst ruiniert zu werden, ist – wie bei jeder Angst – sich ihr zu stellen. Es geht darum, sich von der Langeweile dahin bringen zu lassen, wo sie hin will, damit man lernt mit dem umzugehen, was im Selbstgefühl wirklich vor sich geht – was immer es auch sein mag. Dann beginnst du zu hören, wie du selbst denkst, und so wirst du dann lernen, die Teile von dir in Anspruch zu nehmen, die durch Ablenkung maskiert waren.
Das Schöne daran ist, dass man, sobald man diese anfängliche Barriere überwunden hat, erkennt, dass es gar nicht so schlimm ist, allein zu sein. Langeweile kann Stimulation mit sich bringen.
Wenn du dich mit Momenten der Einsamkeit und der Stille umgibst, wirst du mit deiner Umgebung auf eine Weise vertraut, die eine erzwungene Stimulation nicht zulässt. Die Welt wird reicher, die Schichten schälen sich ab, und man sieht die Dinge als das, was sie wirklich sind, in ihrer vollkommenen Ganzheit, in all ihren Widersprüchen und in all ihrer Fremdheit.
Du lernst, dass es andere Dinge gibt, auf die du achten kannst, als nur das, was den grössten Lärm an der Oberfläche verursacht. Nur weil ein ruhiger Raum nicht vor Aufregung schreit, so wie die Vorstellung, in einen Film oder eine TV-Show einzutauchen, heisst das nicht, dass es dort keine Tiefe gibt.
Manchmal kann die Richtung, in die dich diese Einsamkeit führt, unangenehm sein, besonders wenn es um Selbstbeobachtung geht, um deine Gedanken und deine Gefühle, deine Zweifel und deine Hoffnungen. Aber auf lange Sicht ist dies viel angenehmer, als davonzulaufen, ohne zu merken, dass du es tust.
Die Langeweile zu umarmen erlaubt es dir, Neues in den Dingen zu entdecken, von denen du nicht einmal wusstest, dass sie neu sind; es ist wie ein unkonditioniertes Kind, das die Welt zum ersten Mal sieht. So werden auch die meisten internen Konflikte gelöst.
Trost in der Einsamkeit finden
Je weiter die Welt voranschreitet, desto mehr Ansporn wird sie uns geben, uns ausserhalb unseres eigenen Verstandes für sie zu engagieren.
Während Pascals Verallgemeinerung, dass ein Mangel an internem Zuspruch in der Einsamkeit die Wurzel all unserer Probleme ist, eine Übertreibung sein mag, so ist sie doch nicht ganz unberechtigt.
Alles, was bewirkt hat, dass wir uns mit der Aussenwelt verbinden können, hat uns gleichzeitig isoliert. Wir sind so sehr damit beschäftigt, abgelenkt zu sein, dass wir vergessen, uns um uns selbst zu kümmern – was dazu führt, dass wir uns immer mehr allein fühlen.
Hauptverantwortlich dafür, dass wir uns isoliert fühlen, ist interessanterweise nicht unsere Besessenheit von einer bestimmten weltlichen Stimulation. Es ist die Angst vor dem Nichts – unsere Sucht nach einem Zustand, in dem wir uns nicht langweilen. Wir haben eine instinktive Abneigung gegen das einfache Sein.
Wenn wir den Wert der Einsamkeit nicht erkennen, übersehen wir die Tatsache, dass die Angst vor Langeweile, wenn sie einmal überwunden ist, tatsächlich ihre eigene Stimulation geben kann. Und der einzige Weg, der Angst vor Langeweile zu begegnen ist, sich Zeit zu nehmen, ob jeden Tag oder jede Woche, um einfach nur dasitzen – allein mit seinen Gedanken, seinen Gefühlen, in Momenten der Stille.
Die älteste philosophische Weisheit der Welt hat einen Ratschlag für uns: Erkenne dich selbst. Und es gibt einen guten Grund, warum das so ist.
Ohne uns selbst zu kennen, ist es fast unmöglich, einen gesunden Weg zu finden, um mit der Welt um uns herum zu interagieren. Ohne uns die Zeit zu nehmen, es herauszufinden, haben wir kein Fundament, auf dem wir den Rest unseres Lebens aufbauen können.
Allein sein und sich nach Innen zu verbinden ist eine Fähigkeit, die uns niemand beibringen kann. Das ist ironisch, weil es wichtiger ist als das meiste andere.
Einsamkeit ist vielleicht nicht die Lösung für alles, aber sie ist sicherlich ein Anfang für vieles.
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Dieses Defizit ist einer der Gründe, warum insbesondere viele junge Menschen ständig auf ihr Handy schauen. Sie fürchten die Stille und können sich nicht ihren Gedanken überlassen.
Genau DAS habe ich schon vor 30 Jahren in USA erkannt und demgemäß meine Konsequenzen gezogen. l
Ich bin GERNE allein und liebe die Stille! denn so kann sich meine Kreativität und Einsicht entfalten.