Gefunden auf Waking Times, von V. Susan Ferguson, übersetzt und ergänzt von Taygeta
Die Bhagavad Gita, dieser wunderbare Sanskrit-Text, ist ein hervorragender Führer und, aus meiner Sicht, die ultimative „Bedienungsanleitung“ für die Abenteuer des menschlichen Lebens.
Bei diesem uralten Text handelt es sich um einen Dialog zwischen zwei mächtigen Krieger-Helden: Krishna und Arjuna (Ardschuna). Krishna ist der Gott in uns allen, der allzeit geduldig wartet um gehört zu werden und um uns führen zu können. Arjuna ist der größte Krieger seiner Zeit und Krishna ist sein Wagenlenker, sein Führer im bevorstehenden Kampf. Er wird Arjuna durch diese Kämpfe führen – wenn Arjuna hört und versteht.
Der gesamte, großartige Dialog findet statt inmitten eines Schlachtfeldes, in welchem Krishna und sein bester Freund Arjuna bereit sind, einen monumentalen Kampf auszufechten in der Auseinandersetzung zwischen den beiden einander gegenüber stehenden Heeren, welche beide der gleichen Familie angehören. Arjuna hat seinen Mut verloren und kann den Gedanken nicht akzeptieren, dass er seine eigenen Freunde und die Mitglieder seiner Familie in diesem schrecklichen, blutigen Krieg bekämpfen soll. Er hat seine Waffen niedergelegt und sitzt niedergeschlagen und mutlos auf dem Boden seines Gefährts, als Krishna zu ihm spricht.
Arjuna ist der Anführer der Pandavas, die in diesem Konflikt die gerechte Sache repräsentieren. Die gegnerischen Kräfte, die Kauravas, stehen für die ungerechte Sache. Bezogen auf die inneren Ebenen stellen die Pandavas die höheren Seelenkräfte dar, die nach geistiger Entfaltung streben, während die Kauravas die niederen, an das Materielle gebundenen Kräfte, die niederen Begehren und selbstsüchtigen Antriebe vertreten. Die Pandavas sind aus ihrem Heimatland vertrieben worden und lebten lange im Exil. Duryodhana (die ‘Begierde’), der Anführer der Kauravas, hat das Land usurpiert. Er repräsentiert das selbstsüchtige, materiell ausgerichtete Ich, das Ego mit all seinen unzähligen Leidenschaften und Wünschen. In dieser Auseinandersetzung geht es also darum, dass die Seele den rechtmäßigen Besitz zurück erkämpft, um wieder in das angestammte Land (Hastinapurna, ‚das Himmelreich’) zurückkehren zu können. Dazu muss der Kampf gegen die Freunde und Verwandten in der Form all der liebgewonnen, niederen und eigennützigen Aspekte des Egos, welche die ‚falschen’ Herrscher unseres Wesens geworden sind, geführt werden.
Das Sanskrit-Wort Shanti bedeutet Frieden, aber was meint Krishna in der Bhagavad Gita, wenn er dieses Wort Shanti verwendet? Gibt es nicht andauernd in uns allen vielerlei Kriege? Tobt nicht Krieg in unseren eigenen Köpfen und Herzen? Diese inneren Kriege umwölken unsere Gedanken, konsumieren unsere Energien und machen uns dumm.
Krishna sagt seinem guten Freund Arjuna, dass kein Mensch ohne inneren Frieden Glück erfahren kann (BhG.II.66). In der Tat ist die Abfolge unserer inneren Zwängen ziemlich gut vorhersehbar: Wir beginnen an eine bestimmte Sache zu denken und die Gedanken enden damit, dass wir die Sache unbedingt haben wollen. Wenn dann unser Wunsch durchkreuzt wird, werden wir wütend. Wenn wir wütend sind, ist unsere Fähigkeit zu Vernunft und klarem Denken verzerrt.
Täuschung wird in der Wut geboren!
Aus dieser Wut steigt Wahn. Wir sagen uns allerlei absurde Dinge. Wir hätten das Ding verdient, und wir würden alles tun um es zu bekommen, egal was die Konsequenzen sein würden, egal was unsere Aktionen für unsere Seele bedeuten würden. Wir vergessen, dass die Sache vielleicht gar nicht für uns gedacht ist, oder dass wir sie gar nicht verdienen – oder dass es für uns möglicherweise nicht der richtige Zeitpunkt sein könnte, so etwas zu haben, oder dass es uns Schaden bringen könnte.
Aus der Wut entsteht also Wahn, und aus dem Wahn entsteht Verlust des Gedächtnisses – nennen wir es Verweigerung – und mit dem Verlust des Gedächtnisses beginnen wir die bewusste Wahrnehmung und den Kontakt mit unserem eigenen Geist zu verlieren. Krishna nennt dies den „Tod des Geistes“, der zum Tod führt.
Unkontrollierte Wünsche führen zum Tod. Krishna zeigt den klügeren Weg. Anstatt zuzulassen, dass die eigenen Wünsche den Geistesfrieden verschlingen, entwickelt der weise Mensch einen Zustand der Ausgeglichenheit, eine subtile, intelligente Losgelöstheit von materiellen Dingen und Desinteresse an den Objekten der Sinne. Diese Objekte stürmen während 24 Stunden an 7 Tagen in der Woche von unseren TV-Geräten und den Computer-Bildschirmen kommend auf uns ein. Uns wird gesagt, dass wir nur glücklich sein können, wenn wir genau dieses Auto oder genau jenes Handy und die neuesten Techno-Gadgets besitzen. Wir müssen dünn und jung sein – und wir müssen endlos Produkte konsumieren, die uns dann zu glücklichen Gewinnern machen.
Wenn wir dann langsam in die 30er-Jahre kommen wissen die meisten von uns, dass keines dieser Dinge uns wirklich glücklich gemacht hat. Tatsächlich werden wir dieser Dinge sehr schnell überdrüssig und wir brauchen davon immer mehr, mehr und nochmals mehr. Und wir glauben, dass das nächste, was wir uns wünschen, uns schließlich dieses schwer fassbare Glück bringen wird, welches wir so lange gejagt haben. Aber es passiert nie.
Dauerhaftes Glück kann nicht in der äußeren Welt gefunden werden. Temporäre Erfahrungen von Freude und Leid gibt es in Hülle und Fülle, aber dauerhaften Frieden und Verstehen können wir nur innerhalb uns selbst finden. Wenn wir mit der Zeit müde geworden sind, zum Narren gehalten zu werden und wir weise geworden sind, beginnen wir nach innen zu schauen und alles in Frage zu stellen.
Die Leere des Zwangs
Wir beginnen zu verstehen, wie wir von unseren unbändigen Wünsche geleitet worden sind, wie sie uns kontrolliert haben, uns zwanghaft handeln ließen – und uns leerer zurück gelassen haben als zuvor. Wir beginnen, diesen Prozess zu beobachten. Wir sehen, wie unsere fünf Sinne uns in die Täuschung hinein gezogen haben, und wir ziehen in Betracht, eine vorurteilsfreie Kontrolle auszuüben.
Die anhaltende Praxis, die Reaktionen unserer Sinne zu beobachten und die eigenen Gedanken im Kopf zu kontrollieren wird uns unweigerlich zu innerem Frieden führen. Das ist „der Frieden, der alles Verstehen übersteigt“ (Philipper 4:7), und dieser Frieden ist unsere Heimat, die Quelle unseres wahren Selbst und das gesamte Universum.
Dies ist das Shanti, von dem Krishna in der Bhagavad Gita spricht. Denn, wie Krishna sagt, ist der Verstand, der den Sinnen erlaubt seine Fähigkeit zur Einsicht zu erbeuten, hilflos wie ein Schiff, das in einem Sturm auf hoher See gefangen ist.
Krishna weist Arjuna an mit Bedacht zu handeln und gibt ihm die Kenntnisse, die er braucht, um seinen Platz im Universum zu verstehen. Krishna sagt Arjuna, dass wenn er seinen Geist in den Feuern des Wissens gereinigt hat und Meisterschaft über seine Sinne erlangt hat, er diesen Frieden erhalten wird (BhG.IV.39).
Die fünf Sinne nehmen Kontakt auf mit der Außenwelt und seinen Objekten. Sie senden dann ihre Informationen in Form von Impulsen an unser Gehirn und ermöglichen es uns so, die Gegenpole von Lust und Schmerz zu erleben, Sukha-Duhkha in Sanskrit. Diese Erfahrungen sind vergänglich und sie müssen ertragen werden, denn was vergänglich ist hat keine „echte“ Existenz und ist unwirklich (Asat) in dem Sinne, dass es Schwankungen und Veränderungen unterworfen ist (BhG.II.14-16), während das Wirkliche (Sat) immer existiert, „hinter dem Vorhang eines jeden Atoms“, wie der Sufi-Dichter Mahmud Shabisstari aus dem 14. Jahrhundert sagte.
Es ist nicht so, dass die äußere Welt gar keinen Wert hat, wie manche glauben. Allerdings ist sie auf Grund der Tatsache, dass sie sich ständig wandelt, irreal (Asat) eben in dem Sinne, dass sie vergänglich ist. Die äußere Welt ist sehr real für die fünf Sinne, aber es gibt daneben sehr viel mehr in unserer Welt als was wir sehen, hören, berühren, etc.. Überall gibt es das Unvergängliche (Akshara), das das zeitlich illusionäre Hologramm durchdringt, unterstützt und stärkt.
Wir sind in unserer Illusion verloren
Ohne das Wissen von dieser ewigen, unveränderlichen, unvergänglichen Realität sind wir verloren, schwimmen wir in einem Meer von Wahn und Ignoranz, das uns hin und her wirft und uns narrt mit der Vorstellung, dass Besitz und Vergnügen uns Sinn vermitteln können.
Krishna lehrt seinem Freund, dass dieses Universum durchdrungen wird von etwas Unzerstörbarem und Arjuna keine Möglichkeit hat es zu zerstören. Der Körper kann sterben, aber die Seele (Atma) stirbt nie. Sie zieht einfach in einen neuen Körper ein, genauso wie wir neue Kleider bekommen, wenn unsere alten abgenutzt sind (BhG.II.17-22).
Wenn unsere Körper ‚ausgetragen’ sind bewegen wir uns in neue Formen hinein, welche in Resonanz sind mit unseren Gedanken. Wir erhalten neue Vehikel zur Datenerfassung und um den Ausdruck des Göttlichen in uns auszuweiten. Die Erkenntnis, dass du nie stirbst ändert deine gesamte Lebenseinstellung, und du hast die Möglichkeit weniger an die Gefahren, Fehler und Erfolge deiner aktuellen Identität verhaftet zu sein.
Es kommt eine Zeit in der du weise genug bist dich nicht darum zu kümmern, ob du in den Medien verewigt wirst. Deine Suche nach dem Sinn wird nicht auf der Zustimmung oder Ablehnung anderer beruhen. Du wirst dich viel eher darum kümmern das Richtige zu tun, dich zu bemühen mit der größtmöglichen Integrität zu handeln innerhalb des Wissens, das du im entsprechenden Moment zur Verfügung hast, und du bist dir bewusst, dass dieses Wissen sich ständig ändern wird indem du es laufend neu bewertest.
Du wirst dich nicht so sehr fragen was du erreicht hast – sondern in welchem Bewusstsein du gehandelt hast. Wenn diese Zeit gekommen ist hast du Weisheit erlangt, dann hast du unvergänglichen Frieden erreicht.
Glück, Trost und Erleuchtung kann man auch erfahren nur schon durch die Lektüre der Bhagavad Gita, wie folgende Zitate zeigen:
Wilhelm von Humboldt begann, als er bereits preußischer Minister für Erziehung war, Sanskrit zu studieren, um die Gita in der Originalsprache lesen zu können und schrieb, er danke Gott, dass er lange genug habe leben dürfen, um dieses inspirierte Werk, das vielleicht tiefste und erhabenste, das uns die Welt bieten könne, lesen zu dürfen.
Johann Wolfgang von Goethe sagte über die Bhagavad Gita: «Es ist das Buch, das mich in meinem ganzen Leben am meisten erleuchtet hat.»
Von Arthur Schopenhauer stammt das Zitat: «Aus jeder Zeile dieses unvergleichlichen Buches treten uns tiefe, ursprüngliche, erhabene Gedanken entgegen. Es ist die belehrendste und erhabenste Lektüre, die auf der Welt möglich ist.»
Ghandi schrieb: «Die Gita ist mir stets eine Quelle des Trostes gewesen. Wenn mich kein Lichtstrahl mehr erreicht, schlage ich die Gita auf, und ein Vers, den ich zufällig finde, gibt mir mein Lächeln zurück.»
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