Von Giovanni Dienstmann auf upliftconnect.com; übersetzt von Taygeta

Den wahren Weg zur Befreiung finden

Dank der lichtvollen Arbeit von spiritscape können wir diesen Beitrag auch als Video anbieten! Dieses findet ihr am Ende des Beitrages!

Buddhistische Mönche, hinduistische Yogis, moderne spirituelle Lehrer, Burning Man Enthusiasten, alle verwenden den Begriff „Spirituelle Erleuchtung“– aber sprechen sie alle von der gleichen Sache?

In diesem Artikel werde ich untersuchen, was spirituelle Erleuchtung ist, sowohl die traditionelle Definition als auch die moderne Interpretation berücksichtigend. Es gibt keinen Konsens zu diesem Thema, und es ist ein Bereich intensiver metaphysischer Debatten.

Mein Ziel hier ist es, einige Missverständnisse auszuräumen und die bestmöglichen Haltungen zu erörtern, die in Bezug auf dieses hochgesteckte Ziel zu entwickeln sind.

Der Begriff Erleuchtung hat unterschiedliche traditionelle und moderne Interpretationen.

Die traditionelle Definition

Das traditionelle Konzept der Erleuchtung kommt aus den spirituellen Traditionen Indiens – vor allem aus den verschiedenen Yogaschulen, dem Vedanta und dem Buddhismus – und bezeichnet den höchsten Stand der spirituellen Verwirklichung. Das Ende des Pfades.

Einige der Synonyme für Erleuchtung, die von verschiedenen Denkschulen gegeben werden, sind:

  • Buddhismus: Nirvana, Befreiung, Erwachen, Das Ende
  • Yoga: Befreiung (moksha, mukti), Verwirklichung, Erlösung, Losgelöstheit (kaivalya), Vereinigung (Yoga), Vollkommenheit (poorna)
  • Vedanta: Selbstverwirklichung, Selbsterkenntnis, Jnana (wahres Wissen, Weisheit)

Das Konzept der Erleuchtung kommt aus den spirituellen Traditionen Indiens.

Die Grundlage der Erleuchtung

Alle diese Traditionen haben mehrere unterschiedliche Auffassungen, wenn es darum geht, die „metaphysische Natur“ der Erleuchtung zu definieren. An ihrer Wurzel scheinen sie sich jedoch alle in mindestens drei Punkten einig zu sein:

  1. Sie ist dauerhaft (kann nicht verloren gehen, wenn sie einmal erreicht ist)
  2. Sie beinhaltet, das Ego transzendiert zu haben
  3. Sie ist das Ende von allen Formen des Leidens

Wie man sieht, liegt die Latte hoch.

Es gibt Ähnlichkeiten zwischen diesem Konzept und dem, was in der christlichen Mystik als Erlösung oder „Reich Gottes“ bezeichnet wird, und auch die „Vereinigung mit Gott“ im Sufismus. Es geht aber über den Rahmen dieses Artikels hinaus, dies alles zu erforschen.

Erleuchtung hat Wurzeln in vielen Traditionen, wie Buddhismus, Christentum und Sufismus.

Moderne Konzepte

Laut der Bhagavad Gita kennt nur einer von einer Milliarde Menschen „die Wahrheit“, das heisst, dass er erleuchtet ist. Doch heutzutage gibt es viele Menschen, die sich selbst für erleuchtet halten. Für 99% dieser Menschen gilt eines der folgenden Dinge:

(a)   Sie glauben, dass sie auf dem Weg weiter fortgeschritten sind, als sie es tatsächlich sind.
(b)   Sie postulieren verschiedene Ebenen der Erleuchtung und bezeichnen die traditionelle Definition als „vollständige Erleuchtung“, und sie stellen sich irgendwo in dieser Skala auf.
(c) Sie halten die traditionelle Definition der Erleuchtung für mythisch, übertrieben oder unmöglich. Weil sie nicht in der Lage sind zu ergründen, wie sie sie erreichen können, definieren sie die Befreiung je nach ihrem Grad der Erfahrung neu.

Es wird immer Leute in der Kategorie (a) geben, und ich bin nicht so besorgt darüber. Das Ego ist ein Meister der Täuschung, und das kann sich auch in der Spiritualität zeigen.

Die Menschen neigen dazu, Erleuchtung neu zu definieren, um ihrer eigenen spirituellen Reise zu entsprechen.

Das wahre Erwachen

Ich habe auch kein Problem mit der Kategorie (b), obwohl ich es potenziell verwirrend und irreführend finde, nur schon bestimmte Abschnitte des Weges als „Erleuchtung“ zu bezeichnen, was nicht den traditionellen Standards entspricht, die für diesen Zustand definiert wurden (Bezug nehmend auf hinduistische und buddhistische Referenzen).

Es gibt zwar verschiedene Erfahrungsniveaus, aber es gibt nicht verschiedene Ebenen der (persönlichen) Verwirklichung.  ~ Ramana Maharshi (paraphrasiert)

Es gibt viele Meilensteine auf dem Weg, nach denen tiefe und dauerhafte Transformationen geschehen können, und viele der Möglichkeiten des zukünftigen Leidens fallen dann einfach weg. Ich spreche hiervon aus meiner persönlichen Erfahrung, und auch weil ich mehrere Lehrer beobachtet habe. Diese Meilensteine werden besser „Erwachen“ genannt – und es gibt viele Arten von Erwachen vor der endgültigen Erleuchtung/Befreiung.

Es gibt viele Erwachen auf dem Weg, bevor man die schlussendliche Erleuchtung erreicht.

Die Bedeutung verfälschen

Um weiterzufahren, das eigentliche Problem sind die Menschen in der Kategorie (c). Sie verzerren die wesentliche Bedeutung der Erleuchtung. Vielleicht verwechseln sie auf dem Weg zu vollkommener Befreiung bestimmte Erwachensphasen mit der vollen Befreiung, und halten sich selbst dann für erleuchtet.

Um „ihre Arbeit für sich als erledigt“ betrachten zu können, müssen sie die Erleuchtung, damit sie ihrem Niveau entspricht, weicher definieren. Oder sie sagen allenfalls, weil offensichtlich noch viel Arbeit vor ihnen liegt, dass entweder „Erleuchtung ein Schritt auf dem Weg ist und nicht das Ende“ oder sie tun so, als ob alles, was noch fehlt, nicht wichtig ist (wie die meisten Neo-Avaitiner [jene, die die uralte Advaita-Vedanta neu definieren]).

Ich will damit nicht sagen, dass jeder, der behauptet erleuchtet zu sein, betrügerisch ist – und es bedeutet auch nicht, dass ein solcher Mensch kein erfolgreicher spiritueller Lehrer ist. Aber wenn sie nicht den „traditionellen Anforderungen“ entsprechen, scheint es mir, dass ihnen entweder Demut oder Selbsterkenntnis fehlt. Oder sie sollten ein anderes Wort verwenden, um ihre Erfahrungen/ihren Zustand zu beschreiben.

Die wesentliche Bedeutung der Erleuchtung wird in der Neuzeit verzerrt.

Die wahre Natur der Realität

Doch kann eine solche Verwässerung des Begriffs der Erleuchtung für manche Menschen auch von Vorteil sein – wenn man das Positive betrachten will –, weil sie sich dadurch besser erreichbar anfühlt. Damit kann dann eine erhöhte Motivation und Hingabe an die spirituelle Praxis einhergehen.

Dennoch kann man diesen Nutzen auch erhalten, ohne die ursprüngliche Lehre zu verzerren.

Viele der Traditionen stimmen darin überein, dass Erleuchtung im Prinzip bereits im Hier und Jetzt vorhanden ist, und dass sie unsere wahre Natur – oder die wahre Natur der Wirklichkeit – darstellt. Es geht nicht darum, dass wir sie erreichen oder Teil von ihr werden müssen, sondern dass wir die Hindernisse beseitigen müssen, damit sie sich zum Ausdruck bringen kann.

Die einzigen Hindernisse auf deinem Weg sind jene, die du selbst dort hin stellst.

Plötzlicher vs. gradueller Pfad

Einige Lehren sehen die Befreiung als ein Ziel an, auf das bewusst und methodisch hingearbeitet werden soll. Sie betonen die Notwendigkeit, den Geist zu transformieren und zu reinigen – oder ihn sogar zu transzendieren – durch Praktiken wie Meditation, spirituelles Studium, ethische Lebensführung, Hingabe usw. Wir können dies als eine allmähliche Annäherung bezeichnen.

Andere Traditionen bevorzugen es, den „bereits gegenwärtigen“ Aspekt der Erleuchtung zu betonen. Sie zentrieren ihre Lehren mehr darauf, nach der eigenen wahren Natur zu fragen und einfach in der Gegenwart und mit Nichtanhaftung zu leben. Wir nennen das den plötzlichen Zugang.

Eine Kombination der verschiedenen Praktiken scheint wünschenswert. Oder zumindest, dass man sich der Fallen bewusst ist, die der eigene spezifische Ansatz enthalten kann. Auch der Suchende auf einem allmählichen Pfad kann das Gefühl kultivieren, dass das Hier und Jetzt vollkommen perfekt ist und die wahre Natur [des Seins] jederzeit zugänglich ist. Umgekehrt kann der Suchende auf einem plötzlichen Weg die Praktiken und mentalen Qualitäten des „langsamen Herangehens“ kultivieren, während er über die Wahrheit der plötzlichen Erleuchtung kontempliert.

Die Traditionen lehren verschiedene Arten, Erleuchtung zu erlangen, die sowohl plötzlich als auch allmählich sein kann.

Eine Richtung, kein Ziel

Volle Erleuchtung ist möglich, und dies nicht nur für Mönche. Sie kommt jedoch äusserst selten vor. Ich glaube, dass es zu irgendeinem Zeitpunkt auf der Welt wahrscheinlich weniger als hundert Menschen gibt auf diesem Gipfel der Vollendung.

Viele Menschen fühlen sich entmutigt, frustriert oder demotiviert, wenn ihnen die Wahrheit klar wird, wie schwer erreichbar und selten die volle Erleuchtung ist. Das Mass an Anstrengung ist so gross und die benötigte Zeit so hoch, dass viele zu dem Schluss kommen: „Erleuchtung ist nichts für mich, ich könnte es niemals so praktizieren, wie es diese Meister tun“. Für die meisten Menschen, die Erleuchtung obsessiv suchen, ist dies eine Quelle des Leidens.

All diese Fragen treten auf, wenn wir die Erleuchtung als ein hartes Ziel betrachten und wir uns daran festklammern. Und alle diese Probleme verschwinden in dem Moment, in dem wir eine kleine Veränderung in unserer Denkweise vornehmen.

Lass dich dadurch nicht entmutigen, dass es so selten scheint, dass die volle Erleuchtung erreicht wird.

Eine optimierte Einstellung

Was ist das für eine Feineinstellung?
Die Erleuchtung als Richtung und nicht als Ziel zu betrachten.

Ein Ziel ist nicht immer dazu bestimmt, erreicht zu werden. Oft dient es einfach nur als etwas, auf das man hinzielt.   ~  Bruce Lee

Diese Einstellung verhindert auch die folgenden Probleme:
a) das Gefühl, dass du nicht gut genug oder würdig genug bist
b) ein Gefühl der Frustration über die Langsamkeit deines Fortschritts oder über die Länge des Weges, der vor dir liegt
c) das Verlangen, aufgeben zu wollen
d) die Verwässrung des ursprünglichen Konzepts der Erleuchtung

Wenn man sie erst einmal als eine Richtung betrachtet, ist man viel weicher. Man ist in der Lage, den Weg selbst besser zu geniessen, und man kann ohne Angst und auf organischere Weise in Richtung der Befreiung wachsen. Es wird auch weniger wahrscheinlich, dass die spirituelle Suche durch andere Aspekte des Lebens negativ gestört wird.

Gehe den Weg zur Befreiung, indem du die Erleuchtung als eine Richtung und nicht als Ziel betrachtest.

Perspektiven setzen

In vielen Traditionen sind die Lehren ziemlich binär: Du bist entweder unwissend oder erleuchtet. Da die Erleuchtung jedoch so selten und erhaben ist, ist diese Art des Sehens oft nicht hilfreich. Es gibt tausend wichtige Meilensteine, die vor der vollen Erleuchtung geschehen können, und viele von ihnen sind lebensverändernd. Die Anerkennung dieser „Mini-Erweckungen“ kann dazu beitragen, den Suchenden zu motivieren und ihn auf Kurs zu halten.

Die fortgeschrittenen Yogis, Mönche und Meister, mit denen wir uns vergleichen können, befinden sich auf dem Gipfel ihres Weges. Sie sind wie olympische Meditationssportler. Viele von uns sind dagegen nur ernsthafte Amateure, Liebhaber oder Halbprofis. Nur sehr wenige Menschen werden wie diese Meister praktizieren können. Aber jeder – auch du eingeschlossen – kann ein wenig üben und mit der Zeit ein viel glücklicheres, friedvolleres und bedeutungsvolleres Leben geniessen.

Natürlich können und sollten wir zu denen aufschauen, die den Zustand der Befreiung vollständig verkörpern, um inspiriert zu sein, in diese Richtung zu gehen. Aber dieses Aufschauen ist nicht mehr hilfreich, wenn es zu Vergleich führt, der dich selbst herabsetzt.

Vergleiche dich nicht mit anderen, sondern behalte den Überblick über deine eigene Reise.

Den Weg geniessen

Der spirituelle Weg existiert, damit wir uns vom Leiden befreien können. Auf dem spirituellen Weg können wir zu wahrem Frieden, zu Liebe, Weisheit und Bedeutung finden. So können wir ein tieferes Leben führen, ein Leben der Wahrheit.

Lernen wir also, diesem Weg folgend, auf sanfte Weise zu wachsen – ohne Gewalt gegen uns selbst (oder andere), denn das würde den Zweck zunichte machen. Lasst uns lernen, den Weg selbst zu geniessen. Dann wird es keine Opfer geben, keinen Kampf, nur die natürliche Erweiterung des Bewusstseins.

Wenn man ein Kind zwingt, zu schnell erwachsen zu werden und alle seine Spielzeuge aufzugeben, wird dies nicht zum Ziel führen. Selbst wenn es schneller als üblich aufwächst, wird es diesen schnellen Wachstum gegenüber eine Art Groll verspüren und geheime Anhaftungen an die Spielzeuge behalten, die es vorzeitig aufgegeben musste.

Lerne den spirituellen Weg zu geniessen und den Kampf loszulassen.

Organisch wachsen

Wenn man dem Kind stattdessen einfach sein natürliches Aufwachsen erleichtert, kommt ein Moment, in dem es von sich aus fühlt, dass es diese Spielzeuge loslassen will. Das ist organisches Wachstum – schmerzlos, natürlich und zeitnah.

Diese Art von Wachstum wird behindert, wenn wir versuchen, uns auf dem spirituellen Weg mit anderen zu vergleichen, wenn wir vorzutäuschen, weiter zu sein als dass wir wirklich sind, oder wenn wir uns zu sehr an das Endziel klammern. Lasst uns also diese Fallen vermeiden und uns da, wo wir uns gerade befinden, auf die Reise konzentrieren, einen Schritt nach dem anderen ausführend.

Mit der Zeit, wenn sich unsere Praxis vertieft, wird sich aus dieser spirituellen Praxis heraus ein Gefühl der Freude, des Friedens und der Freiheit ergeben, das völlig anders ist als alles, was wir anderswo erleben können. Wenn das beginnt zu geschehen … , ob es dann noch 5 Monate, 5 Dekaden oder 5 Lebensdauern braucht, um Erleuchtung zu erlangen, wird dann keine grosse Rolle mehr spielen. Du bist glücklich und gesund, an deinem einzigartigen Platz im Universum, und nichts anderes ist von Bedeutung.

Nehme dir Zeit, um deine Praxis zu vertiefen und dein persönliches Wachstum organisch zu entwickeln.

Dein einzigartiger Weg

Die ersten Anzeichen für Fortschritte auf dem Weg des Yoga sind perfekte Gesundheit, körperliche Leichtigkeit, ein strahlendes Gesicht, eine schöne Stimme und Freiheit von Verlangen.   ~  Svetasvatara Upanishad 

Nicht schlecht, würde ich sagen.

Was mich betrifft, so praktiziere ich nicht 16 Stunden am Tag, wie es Mönche tun, und ich halte mich auch nicht perfekt an die Lehren. Ich meditiere 2 Stunden am Tag und versuche, die Grundsätze und Praktiken während des Tages nach besten Kräften zu befolgen. Und ich kann euch aus eigener Erfahrung sagen, dass die Früchte der ersten Schritte auf dem Weg der Befreiung wertvoller sind als alles, was die Welt mir je bieten kann.

Dies vor Augen, und Erleuchtung als Endziel betrachtend (anstatt als ein zwanghaftes Ziel), bewege ich mich glücklich auf dem Weg, wissend, dass ich das Beste tue, was ich mit meinem Leben tun kann. Ob Erleuchtung existiert oder nicht, ob es für mich möglich ist oder nicht, das Suchen danach scheint zu einem guten Leben zu führen.

Der Weg, den du gehst, ist deine eigene Reise und ein jeder Schritt führt dich zu einem glücklicheren Leben.

Schluss-Gedanken

In gewisser Weise sind Erleuchtung und spiritueller Dienst das Ziel und der Zweck all meiner Bemühungen. Aber aus einer eher pragmatischen Perspektive. Ich praktiziere einfach, weil ich praktiziere. Ich übe, weil es der beste Weg ist, um zu leben.

Lasst uns spirituell Suchende die Erleuchtung ernst nehmen, ohne die ursprüngliche Bedeutung dieses Zustandes zu verändern – damit wir nicht auf Nebengeleise geraten, die uns nur halbwegs nach oben führen.

Nehmen wir die Erleuchtung als eine Richtung, als einen Kompass – und nicht als ein hartes Ziel, an dem wir festhalten müssen. Wenn Erleuchtung geschieht, ist das grossartig. Wenn nicht, lasst uns mit der Überzeugung vorangehen, dass selbst die ersten wahren Schritte auf dem Weg der Befreiung bereits mehr Lebensvorteile und Superkräfte bringen als alles, was wir in dieser Welt finden können.