Unser eigenes Unterscheidungsvermögen ist erforderlich
Gefunden auf wakingtimes, geschrieben von Anna Hunt, übersetzt von Antares
Die Welt hat sich seit der Zeit unserer Vorfahren erheblich verändert. Heute entwickeln wir die meisten unserer Überzeugungen aufgrund von externen Kräften, mit nur sehr wenig Erfahrung aus erster Hand. Während die frühen Menschen auf direkte sinnliche Erfahrung angewiesen waren, um ihren Glauben zu formen, verlassen wir uns heutzutage auf die Sprache und unsere eigene Fähigkeit, Unwahrheiten von der Wahrheit zu unterscheiden.
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Durch die Sprache erhalten wir zweifellos einen Überfluss von Meinungen und Vorurteilen, die auf dem eigenen Glaubenssystem des Redners basieren. Dennoch sind wir bereit, Vieles zu glauben, ohne uns die Zeit zu nehmen, neue Ideen zu erforschen oder sie durch uns selbst zu erfahren. Was ist der Grund für diese eifrige Gutgläubigkeit und können wir sie kontrollieren?
Das Eindringen der Gesellschaft in das leichtgläubige Gehirn
Der Philosoph des 17. Jahrhundert Rene Descartes formalisierte die Idee, dass „wenn jemand die Wahrheit wissen will, dann sollte derjenige einer Behauptung nicht glauben, bis er Beweise findet, die diese rechtfertigen“.
Das klingt nach einem vernünftigen Ansatz zur Integration neuer Überzeugungen. Die meisten von uns erachten sich als fähig, Ideen zu bewerten und für sich selbst zu entscheiden. Denke nichtsdestotrotz darüber nach. Wann hast du dir das letzte Mal die Zeit genommen, neue Beweise zu suchen, die dir darin helfen, neue Ideen zu beweisen oder zu widerlegen?
Ich rede nicht nur von einem zufälligen Fakt, den du auf einer Nachrichten-Website gesehen hast. Ich spreche von Ideen/Meinungen, die du von überall her bekommst, aus all deinen Medien, sozialen Netzwerken und persönlichen Interaktionen. Ehrlich gesagt, es kommen ständig so viele Informationen auf uns zu, wer hat die Zeit, alles zu überprüfen und zu recherchieren?
Wie viele Überzeugungen hat die Gesellschaft überdies von frühester Kindheit an in unserem Gehirn verankert? All das glauben wir tatsächlich in der Form, als seien es Fakten, obwohl wir uns nie wirklich die Zeit genommen haben, diese Ideen reflektieren.
Während all dieser prägenden Jahre unseres Lebens bauen wir Assoziationen und starke Überzeugungen über die Schlüsselaspekte des Lebens auf. Wir bilden unsere religiösen Überzeugungen und Verbindungen. Wir etablieren eine Grundlage für unsere politischen Ansichten und zivilen Rollen. Noch wichtiger ist, wir adaptieren uns an die verewigten Vorstellungen von Autorität und Konformität. Letztlich billigen wir die Sichtweise der Gesellschaft darüber, was es bedeutet, ein Mensch zu sein.
All dies geschieht ohne jede Untersuchung aus eigener Hand, ob eine dieser gesellschaftlichen Normen und Überzeugungen wahr ist. Jedoch sind für die meisten genau diese programmierten Überzeugungen die erste Quelle der Faktenprüfung und zur Bewertung neuer Ideen und Behauptungen.
Skepsis ist ziemlich selten, besonders wenn wir abgelenkt werden
Ein anderer Philosoph, Benedict Spinoza, hinterfragte Descartes’ Idee. Spinoza erkannte, dass das Gehirn Ideen nicht in der Weise verarbeitet, wie es Descartes vorschlug. Er unterbreitete, „die Menschen glauben jeder Behauptung, die sie verstehen, doch halten umgehend derartige Behauptungen nicht mehr für wahr, die sich im Widerspruch zu anderen etablierten Tatsachen befinden“.
Neuere Forschungen haben gezeigt, dass unsere Gehirne tatsächlich bereit sind zu glauben, womit wir auch immer sie füttern – und bestätigen damit jene Theorie von Spinoza. Die Forscher Daniel T. Gilbert et al. von der University of Texas in Austin führten ein Experiment durch, wobei sie zur Untersuchung des Themas eine Reihe wahrer und falscher Aussagen über ein Verbrechen präsentierten.
Die Forscher baten eine Gruppe von Teilnehmern, die Aussagen zu lesen und gleichzeitig die Ziffer 5 zu finden und zu zählen, sobald sie im Text erscheint. Die andere Gruppe durfte die Aussagen ununterbrochen lesen.
Danach baten die Forscher die Teilnehmer, sich zu erinnern, welche Aussagen falsch und welche wahr waren. Sie erbaten auch, dass die Betroffenen über die Haftstrafe für den Täter entscheiden. Das Ergebnis der Studie zeigte, dass die Gruppe, die auch zählte, mehr falsche Behauptungen als wahr erinnerte, jedoch nicht umgekehrt. Sie gaben dem fiktiven Täter auch eine längere Gefängnisstrafe.
So zeigten Gilbert et al., dass Menschen eher glauben, dass falsche Behauptungen wahr sind, besonders wenn sie unterbrochen werden. Das bestärkt Spinozas Theorie, dass die Leute Ideen schnell Glauben schenken. Die Ergebnisse werfen auch das Argument auf, dass Unterbrechungen uns am „annullieren“ neuer Behauptungen hindern. Sind wir also wirklich zu der Skepsis fähig, die die moderne Welt erfordert?
Die Implikation dieser Ergebnisse besteht darin, dass die Welt uns ablenkt. Sie ist schnelllebig, glitzernd, laut und überwältigend. Wir sind mit dem Leben der Menschen ausserhalb unseres Hauses und unserer Gemeinschaft verbunden und nehmen riesige Mengen an Informationen auf. Vergiss dabei nicht die unaufhörlichen Versuche der Werbetreibenden, deine Aufmerksamkeit wegzuschnappen und das ständige Locken deines Smartphones. Wie können wir von unserem Gehirn eine ununterbrochene Bewertung neuer Ideen erwarten?
Es bedarf kognitiver Arbeit, ‚ungläubig‘ zu sein
Spinoza und Gilbert et al. legen nahe, dass „der Glaube erstrangig, leicht und unerbittlich ist und dass Zweifel rückwirkend gültig, schwierig und nur gelegentlich erfolgreich sind“.
Gilbert et al schreiben:
Akzeptanz kann also eine passive und unvermeidliche Handlung sein, während Ablehnung eine aktive Operation sein mag, die die anfängliche passive Akzeptanz rückgängig macht. Die vorrangige grundlegende Vorhersage dieses Modells besteht darin, dass, wenn ein Ereignis eine Person daran hindert, ihre anfängliche Akzeptanz „zu annullieren”, er oder sie weiterhin an die Behauptung glauben könnte, selbst wenn sie offensichtlich falsch ist. Zum Beispiel, wenn einer Person gesagt wird, dass Bleistifte eine Gefahr für die Gesundheit darstellen, muss sie diese Behauptung sofort glauben und kann erst später aktive Massnahmen ergreifen, um sie zu widerlegen. Diese aktiven Massnahmen erfordern kognitive Arbeit (sprich die Suche nach oder die Generierung von Beweismitteln), und wenn ein Ereignis die Fähigkeit jener Person beeinträchtigt, eine derartige Arbeit durchzuführen, dann würde die Person weiterhin an die Gefahr von Bleistiften glauben, bis die kognitive Arbeit getan werden kann.
Von Descartes Theorie ist heutzutage vieles veraltet und Gilbert et al. unterbreiten, dass jedes Ereignis und jede Begegnung in deinem Leben dein Gehirn verändert. Manchmal ist diese Veränderung dauerhaft, sofern du die Zeit und die kognitiven Fähigkeiten hast, über die Begegnung nachzudenken und dann zu entscheiden, ob du die von ihr eingeführten Ideen bezweifeln willst.
Aus diesem Grunde ist Werbung so effektiv. Marketingleute stellen Ideen (Überzeugungen) über ihre Produkte im Vorbeigehen vor. Typischerweise bist du bereits mit dem abgelenkt, was du gerade tust (fahren, eine Show ansehen, ein Stück in den Nachricht lesen, etc.). Einige mögen argumentieren, dass Werbetreibende ohne deine Erlaubnis Überzeugungen in deinem Gehirn erschaffen.
Das gleiche gilt für die Politik, die öffentlichen Schulen und die Nachrichtenmedien. Zwingen dir all diese Entitäten Veränderungen in deinem Glaubenssystem gegen deinen Willen auf? Ist das Gehirn wirklich so leichtgläubig?
Einige würden JA sagen, doch lass uns zurück zu Descartes’ Idee gehen, man könne Beweise suchen, um sich zu entscheiden, eine Behauptung anzuzweifeln. Gilbert et al schreiben:
Die Menschen haben also das Potenzial, sich gegen falsche Ideen zur Wehr zu setzen, doch kann dieses Potenzial nur realisiert werden, wenn die Person
(a) logische Fähigkeiten,
(b) korrekte Informationen und
(c) Motivation und kognitive Ressourcen besitzt.
Was ich daraus entnehme, ist, dass wir die kognitive Fähigkeit haben müssen, genauso wie zutreffende Informationen, die uns helfen, falsche Behauptungen zu bezweifeln. Leider sind diese Fähigkeiten zumeist die Funktion unseres Bildungssystems, wie auch von organisierten Gruppen und religiösen Sekten. Deshalb kontrolliert die Gesellschaft teilweise unsere eigene Fähigkeit, die Wahrheit von Unwahrheiten zu unterscheiden. Uns wird gesagt, wir sollen die Informationen als Wahrheit glauben, die uns in den Schulen und Kirchen eingefüttert werden. Doch wie können wir da sicher sein? Und lehrt das Bildungssystem den Kindern, wie sie denken sollen, oder nur was sie denken sollen?
Schlussgedanken
Viele sind darüber besorgt, dass der Einfluss der Gesellschaft unsere Fähigkeit, Unwahrheiten zu erkennen, erstickt hat – dass der Bienenstock-Geist die Massen infiziert und die Skepsis gegenüber dem Mainstream-Glauben herabgemindert hat.
Dennoch dürfen wir nicht unsere eigene persönliche Macht vergessen. Unabhängig davon, wie leichtgläubig das Gehirn wirklich ist, halten wir die Macht über unsere Gedanken in uns. Diese Kontrolle ergibt sich aus unserer Bereitschaft (Motivation), Ideen zu reflektieren und über diese nachzudenken.
Unsere kognitiven Ressourcen sind nicht an unseren Notendurchschnitt – oder IQ-Wert gebunden. Diese Fähigkeiten können wir durch Selbststudium und den rationalen Gedankenaustausch mit anderen erweitern. Abgeschiedenheit, Meditation, Reflexion, Mentorschaft, eigene Erfahrung – das alles befindet sich in unserer Reichweite. Wir haben Zugang zu einem endlosen Wissenspool. Alles, was wir tun müssen, ist es, uns zu entscheiden. Wollen wir nur das aufnehmen, womit uns die Mainstream-Gesellschaft bewirft, oder sind wir Willens, unsere eigene Wahrheit zu suchen?
Über den Autor: Anna Hunt ist Schriftstellerin, Yogalehrerin, Mutter von drei Kindern und liebt gesunde Ernährung. Sie ist die Gründerin von Awareness Junkie, einer Online-Community, die den Weg für eine bessere Gesundheit und persönliche Transformation ebnet. Sie ist auch Mitherausgeberin von wakingtimes, wo sie über optimale Gesundheit und Wellness schreibt. Anna verbrachte 6 Jahre in Costa Rica als Lehrerin für Hatha und therapeutisches Yoga. Sie lehrt jetzt am Asheville Yoga Center und verfolgt ihre Yoga-Therapie-Zertifizierung. In ihrer Freizeit wird man sie auf der Matte oder in der Küche beim Kreieren neuer kinderfreundlicher Superfood-Rezepte finden.
Quelle: You cant’t not believe everything you read (Man kann nicht alles glauben, was man liest, Daniel T. Gilbert et al, Department of Psychology University of Texas at Austin
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