Am 24. Oktober 2014 hielt der russische Präsident Wladimir Putin eine Rede auf der 11. Konferenz des Waldai-Klubs in Sotschi (Thema: „Weltordnung: Neue Regeln oder ein Spiel ohne Regeln?“). In dieser Rede kritisiert er das Vorgehen der USA, erläutert die bestehenden globalen Probleme und ruft alle Beteiligten zum gleichberechtigten Dialog und zur  gegenseitigen Achtung auf.

Die „Waldai-Rede“ Wladimir Putins ist eine der stärksten seit Beginn seiner Amtszeit. Dies äußerte ausgerechnet der erste Präsident der Sowjetunion, Michail Gorbatschow, sonst ein starker Putin-Kritiker. „In Putins Rede habe ich das Bestreben erkannt, Wege zur Milderung der Spannung und in der Perspektive zur Schaffung neuer Grundlagen für die Partnerschaftsbeziehungen zu finden“.¹

Auch wenn wir uns traditionell aus tagespolitischen Themen eher heraushalten, möchte ich an dieser Stelle doch auf die deutlichen und aussagekräftigen Worte Putins hinweisen. Ich möchte ausdrücklich äußern, dass dies keine pauschale Befürwortung der russischen Politik ist.

Seine Worte sollten, wie alles, nicht ohne kritisches Hinterfragen gelesen und gehört werden, natürlich ist er Politiker, natürlich hat er ganz eigene Interessen, die er sicherlich teilweise verschweigt. Dennoch offenbart er hier eine Ehrlichkeit, bezüglich der globalen Lage, die man von Politikern selten vernimmt.

Im Folgenden finden sich einige inhaltliche Aussagen Putins in komprimierter Form. Für alle, die sich gern die gesamte Rede anhören würden, findet sich hier eine deutsche Tonversion.

Eine ehrliche Auseinandersetzung mit der Berichterstattung der Deutschen Medien in Bezug auf Russland und den Ukraine-Konflikt, kann man sich hier anschauen. Es äußert sich diesbezüglich Gabriele Krone-Schmalz, Fernsehjournalistin und Dozentin für Journalistik, in einem Bericht des Magazins Zapp (NDR) vom 16.04.2014.

 


Splitter aus Putins Rede auf der Waldai-Konferenz in Sotschi

Quelle: Russland.ru

Waldai 2014 Präsident Putin (Quelle: kremlin.ru)

 

Die EU wird sich dem Druck der USA nicht beugen und auf russisches Gas nie verzichten. „Ein solcher Schritt wird die Konkurrenzfähigkeit der EU zugrunde richten. … Es ist kaum vorzustellen, dass so etwas nach dem Willen unserer Partner in Europa geschehen könnte. Ich kann mir das schwerlich vorstellen.“ Als Alternative käme nur der Mittlere Osten und die USA infrage. „Amerika könnte Schiefergas und -öl nach Europa transportieren. Aber was würde das kosten? Wenn die Europäer dieses Schema akzeptieren, wird das direkt zum Abbau der eigenen Konkurrenzfähigkeit führen. US-Gas wird teurer sein als unser Pipelinegas.“

Kiew soll seine Truppen aus der Ostukraine abziehen. „Man darf sich nicht an jedes Dorf klammern, das ist sinnlos. Die Truppen sollen abgezogen werden. Russland ist ebenfalls für die territoriale Integrität der Ukraine. … Statt einen friedlichen Dialog aufzunehmen, schickt Kiew Truppen, Panzer und Flugzeuge (in die Donbass-Region). Und die internationale Gemeinschaft hüllt sich ins Schweigen, als ob sie nichts sieht, als ob es die Formulierung ‚unangemessene Anwendung von Gewalt‘ nicht mehr gibt.“ Russland wurde im Kaukasus-Konflikt unangemessene Gewalt vorgeworfen, „jetzt wurde dieser Begriff einfach vergessen, während (Kiew) Streubomben und sogar taktische Waffen einsetzt“

Viele wichtige Interessen Russlands und der USA stimmten überein. „Gerade darauf sollten sich beide Länder in ihren Beziehungen stützen. … Seinerzeit hatte Russland den USA bei der Erlangung der Unabhängigkeit geholfen, beide Länder waren Verbündete während des Ersten und des Zweiten Weltkrieges.“

Die Wahrscheinlichkeit einer Konfrontation der Großmächte sei gestiegen. „Ein Risikofaktor sind dabei nicht nur traditionelle Gegensätze zwischen Ländern, sondern auch die innere Instabilität in einzelnen Ländern. … Die Ukraine ist nur ein Beispiel für einen derartigen Konflikt, der sich auf die globale Kräftekonstellation auswirkt. Ich glaube, das ist bei weitem nicht der letzte Konflikt dieser Art“. Dass Russland sich an seinen Nachbarn vergreife, sei falsch. „Russland will nur, dass seine Interessen mit berücksichtigt und geachtet werden. … Russland fordert für sich keinen besonderen ausschließlichen Platz in der Welt. Das möchte ich betonen. Wir achten die Interessen der anderen und wollen, dass auch unsere Interessen geachtet werden.“

Eine Rückkehr zum Totalitarismus schließt Putin aus. „Das wäre ein Weg in die Sackgasse. … Wir haben viel in unserem Leben zu ändern, was wir denn auch tun, allerdings nicht mit Hilfe von Revolutionen. Revolutionen hat es im 20. Jahrhundert genug gegeben, das reicht. Russland setzt auf Evolution.“

Die internationale Gemeinschaft brauche eine „Neuauflage der wechselseitigen Abhängigkeit“. „Man darf keine Angst vor dieser Abhängigkeit haben. … Die wechselseitige Abhängigkeit ist ein gutes Instrument für die Abstimmung von Positionen. Das wird besonders aktuell, wenn man die Festigung und das Wachstum einzelner Regionen des Planeten mit berücksichtigt.“ Putin wünscht sich weiter einen Wirtschaftsraum zwischen Atlantik und Pazifik. „Wir würden die Aufnahme eines sachlichen Dialogs zwischen der Eurasischen und der Europäischen Union nur begrüßen. Ein solcher Dialog wurde uns bislang verweigert.“

Putin warnt vor unbedachten Schritten. „Derartige Schritte sollen vermieden werden, sonst werden Friedenshoffnungen zu Illusionen. … Wir sind uns darüber im Klaren, dass die Welt in eine Epoche von Wandlungen und tiefgreifender Transformationen eingetreten ist. Daher müssten wir alle äußerst vorsichtig sein, um unbedachte Schritte zu vermeiden. In der Zeit nach Ende des Kalten Krieges haben sich die Teilnehmer der internationalen Politik etwas entspannt. Jetzt kommt es darauf an, sich an das Alte zu erinnern… Sonst wird die gegenwärtige Krise einen Zusammenbruch der globalen Ordnung einleiten“. Russland habe eine zivilisierte Diskussion über eine Assoziierung der Ukraine zur EU geführt. „Aber niemand wollte unseren Argumenten Gehör schenken. Das Ergebnis: Die Ukraine wurde ins Chaos, in einen Bürgerkrieg gestürzt… Statt einen zivilisierten, allerdings komplizierten Dialog zu führen, ließ man es zum Staatsstreich kommen, dem ein Bürgerkrieg mit zahlreichen Opfern folgte. Wozu? … Es ist noch nicht zu spät, eine Vereinbarung zur Ukraine herbeizuführen. Aber jegliche Gewaltanwendung bei der Lösung von Problemen im Südosten der Ukraine wird die Situation in eine Sackgasse treiben“.

Russland besteht auf Verhandlungen über die Reduzierung nuklearer Arsenale doppelte Standards. „Wir sind nicht nur für Verhandlungen schlechthin. Wir bestehen auf ihrer Fortsetzung. Je weniger Atomwaffen in der Welt, desto besser. … Einige Präzisionswaffen können bereits ihrer Effizienz nach mit Massenvernichtungswaffen verglichen werden. Und beim Verzicht auf die nuklearen Potentiale oder bei ihrer jähen Reduzierung werden Länder, die führende Positionen bei Entwicklung und Produktion von Präzisionswaffen haben, eindeutige militärische Vorteile erlangen. In diesem Fall wird die strategische Parität gesprengt, was eine Destabilisierung nach sich zieht. Da wird man wohl der Versuchung nicht widerstehen können, einen ersten globalen entwaffnenden Schlag zu führen. Kurzum, Risiken wachsen, statt abzunehmen.“ Die USA stelle aber keine Bedrohung für Russland dar, auch wenn Präsident Obama eine Bedrohung in Russland sehe. „Ich glaube, dass die Politik der Regierungskreise (der USA) fehlerhaft ist. Ich bin sicher, dass sie (Politik) unseren Interessen zuwiderläuft, das Vertrauen zu den Vereinigten Staaten untergräbt und den USA selbst einen gewissen Schaden zufügt“.

Das internationale System der Rüstungskontrolle sei in Gefahr. „Eine Zerstörung des geltenden Vertragswerks über die Rüstungsbegrenzung und -kontrolle ist durchaus realistisch. … Es sind die Vereinigten Staaten von Amerika, die diesen gefährlichen Prozess in die Wege geleitet haben – mit ihrem einseitigen Ausstieg aus dem ABM-Vertrag im Jahr 2002.“ Dann haben die USA mit dem Aufbau eines globalen Raketenabwehrsystems angefangen. „Jetzt schlittern wir wieder in die Zeit zurück, in der kein Gleichgewicht von Interessen und gegenseitigen Garantien, sondern die Angst vor gegenseitiger Vernichtung die Länder von einer direkten Konfrontation abhielt.“

Das bestehende System der globalen und regionalen Sicherheit sei nicht in der Lage ist, die Sicherheit zu gewährleisten. „Es gibt leider keine Gewähr, dass das bestehende System der globalen und regionalen Sicherheit uns schützen kann, denn dieses System ist sehr geschwächt, zersplittert und deformiert. Die internationalen und regionalen Institute für politische, ökonomische und kulturelle Zusammenarbeit machen schwere Zeiten durch.“

„Ich habe es nie angezweifelt, dass die Ukraine ein moderner, vollwertiger und souveräner europäischer Staat ist. Eine andere Sache ist, dass die Geschichte der Entstehung der Ukraine in ihren heutigen Grenzen ein schwieriger Prozess war.“ „Neurussland“ sei ein historischer Begriff. „Das war eine einheitliche Region mit Zentrum in Noworossijsk gewesen.“ Er hoffe an eine Normalisierung der russisch-ukrainischen Beziehungen, die nach seiner Einschätzung unvermeidlich sei. „Hauptsache ist jetzt, unverzüglich den Krieg zu beenden.“

„Russland beansprucht keine globale Führungsposition. Die Behauptung, Russland erhebe Anspruch auf einen Exzeptionalismus, ist völlig falsch. Wir fordern für uns keinen Sonderplatz unter der Sonne. Wir gehen bloß davon aus, dass alle internationalen Akteure die Interessen voneinander respektieren müssen. Wir sind bereit, die Interessen unserer Partner zu respektieren und erwarten eine genauso respektvolle Behandlung unserer Interessen.“

„Unsere aktive Politik gegenüber der Asiatisch-Pazifischen Region hat bereits vor einigen Jahren – lange vor den Sanktionen begonnen“. Russland kehre Europa nicht den Rücken und suche sich neue Partner in Asien. Russland trage der zunehmenden politischen und wirtschaftlichen Bedeutung dieser Region Rechnung. Schließlich liege ein großer Teil Russlands in Asien.

„Es entsteht der Eindruck, dass der so genannte Sieger im Kalten Krieg die ganze Welt auf sich und auf die eigenen Interessen zuschneiden will“. Das bewährte System der internationalen Beziehungen, das System der Checks and Balances sei dabei hinderlich gewesen, man habe es als „veraltet und zu nichts nützlich“ weggeworfen. „Es muss eindeutig definiert werden, wo die einseitigen Schritte enden und wo multilaterale Mechanismen einspringen müssen.“ Handlungen der Weltgemeinschaft zur Gewährleistung der Sicherheit und Menschenrechte auf der einen Seite und Handlungen der nationalen Souveränität und Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten müssen klar getrennt werden. Ein klares System gegenseitiger Pflichten müsse geschaffen werden, um Krisen zu bewältigen. Wenn das nicht geschehe, werde die Welt weiter in Anarchie versinken.

Die weltweite Einmischung der USA ist schädlich. „Ist der amerikanische Exzeptionalismus, die Führungsposition der USA ein Wohl für alle? Bringt ihre absolute Einmischung in alle Angelegenheiten der Welt Ruhe, Wohlergehen und Demokratie? Ich erlaube mir zu sagen, dass dem nicht so ist. Das einseitige Diktat und das Aufzwingen der eigenen Schablonen erwirkt dass Gegenteil: Konflikte werden nicht beigelegt, sondern sie eskalieren. Anstelle souveräner und stabiler Staaten entsteht ein wachsendes Chaos. Statt Demokratie wird suspektes Publikum gefördert – angefangen bei ausgesprochenen Neonazis bis hin zu islamischen Radikalen.“


¹http://german.ruvr.ru/news/2014_10_26/Gorbatschow-schatzte-Putins-Ausfuhrungen-vor-dem-Waldai-Forum-hoch-ein-0340/