Geschrieben von Kirsten Cowart auf www.themindunleashed.org; übersetzt von Pippa

Wenn wir herauszufinden wollen wer wir sind, warum wir hier sind und was unsere Bestimmung ist, führt das schliesslich dazu, dass wir Religion, Wissenschaft, Philosophie und Spiritualität erforschen. Diese Suche kann uns eine Menge darüber lehren, was andere Menschen bisher herausgefunden haben. Tagtäglich werden neue Dinge ergründet und manchmal widersprechen sie sich gegenseitig.

Wir können lesen und lernen, so viel wir wollen, aber ohne direkte Erfahrung wird alles immer auf der Beschreibung eines Ereignisses oder einer Erkenntnis basieren, die andere Personen hatten. Das lässt immer Zweifel zu. Ja, ihr könnt Vertrauen darin haben, dass die Beschreibung ihrer Erfahrungen wahr ist. Aber was wäre, wenn deren Wahrnehmung voreingenommen war, oder wenn es wichtige Details gab, die unbeschreiblich oder bisher noch nicht nachweisbar waren?

mystik-1Die Wissenschaft und unser Verstand können nur einen begrenzten Bereich an Farben, Geräuschen und Frequenzen aufnehmen, und die Vorstellung, genau in der Lage zu sein, emotionale Angaben und Eindrücke weiterzugeben, liegt meistens immer noch ausserhalb unseres Verständnisses, sogar für empathische Personen.

Wir sind nicht ohne Grund einzigartig und verschieden. Obwohl unsere Reisen manchmal ähnlich sein mögen, könnt nur ihr euren Weg beschreiten und eure eigenen Anschauungen zu euren Erlebnissen formen.

Lasst uns einen Blick auf eine bestimmte Art von Erfahrung werfen, die zwar immer einzigartig und persönlich ist, aber dennoch gewisse Themen beinhaltet, die einander in ihrer Beschreibung ähneln. Dieser Typ von Erfahrung steht oft am Ursprung von Religionen, und obwohl wir nicht sicher sind, was sie verursacht, beginnen viele Leute solche Erfahrungen zu haben, die deren Sichtweise auf das Leben völlig verändern.

Was sind Mystik und mystische Erfahrungen?

Mystik wird definiert als „eine Konstellation von bestimmten Praktiken, Diskursen, Texten, Institutionen, Traditionen und Erfahrungen, die auf die menschliche Veränderung abzielt und in verschiedenen Traditionen unterschiedlich definiert wird.“

Eine „mystische Erfahrung“ ist eine Erfahrung, die spirituell und heilig ist, stellt aber oftmals mehr als nur eine religiöse Erfahrung dar. Eine „religiöse Erfahrung“ ist eine subjektive Erfahrung, die sich innerhalb des Gefüges der Religion abspielt.

Gemäss Larson ist

„eine mystische Erfahrung ein intuitives Verstehen und Wahrnehmen der Bedeutung der Existenz – ein intuitives Verstehen und Erkennen, welches prägend, integrierend, selbst-beglaubigend, befreiend ist – sprich, es bietet ein Gefühl der Befreiung vom gewöhnlichen Selbst-Gewahrsein, und in der Folge entscheidend ist (als erstes Kriterium genommen wird) für die Deutung aller nachfolgenden Erfahrungen, ob kognitiv [geistig], konativ [strebend] oder affektiv [emotional].“

Das Unbeschreibliche beschreiben

mystik-3Oftmals können mystische Erfahrungen nicht in Worte gefasst werden. Die Begriffe, die verwendet werden, um diese seltenen, einzigartigen Ereignisse zu beschreiben, haben einige gemeinsame Charakteristiken. Forscher befragten kürzlich hunderte von Personen und liessen sie ihre persönliche Sicht auf ein „mystisches Erlebnis“ beschreiben.

„Wir beschlossen, die Menschen nach ihren spirituellen Erlebnissen zu befragen, denn die zutiefst positiven Gefühle des Wohlbefindens, die mit mystischen Erlebnissen verknüpft sind, sind es wert, dass sie wissenschaftlichen erforscht werden“ sagte der Seniorautor der Studie, Professor Dr. Andrew Newberg.

„Durch das Analysieren der Sprache der mystischen Erfahrungen beginnt unsere Studie, gemeinsame Merkmale dieser Erlebnisse zu erkennen.“

Dr. Andrew Newberg und sein Forschungsteam analysierten 777 Personen, die davon berichteten, dass sie ein spirituelles oder religiöses Erlebnis hatten. Nur durch die Analyse der Worte und Verhaltensmuster entdeckten sie, dass die Personen mit mystischen Erfahrungen, welche wiederum durch die ‚Death Transcendence Scale’ definiert sind, Wörter wie „Einssein“, „mit“ und „alles“ verwendeten, als sie ihre Erfahrungen beschrieben.

[Death Transcendcence Scale: eine selbst auszufüllende 25 Punkte-Skala, basierend auf der Voraussetzung, dass „der Tod durch die Identifizierung mit Phänomenen überwunden wird, die beständiger sind als man selbst.“ Diese Skala wird in verschiedenen Erwachsenen-Stichproben sowie im Krankenhausumfeld geprüft.]

Die gleiche Gruppe verwendete fast niemals religiöse Worte wie „religiös“, „heilig“, „Hölle“ und „Christus“. Das führt uns zu der Vermutung, dass in einer mystischen Erfahrung mehr vor sich geht als religiöse und kulturelle Prägung.

Das passt zu Dr. Neubergs vorangegangener Recherche, in der er Neuroimaging [Bildgebung des zentralen Nervensystems] anwandte. Dabei hat er herausgefunden, dass während eines mystischen Erlebnisses die Regionen des Gehirns, die mit räumlicher Abgrenzung verbunden sind, vollständig verändert sind. Das kann vielleicht deshalb sein, weil man, während man ein mystisches Erlebnis hat, es sich anfühlt, als ob man sich nicht länger im Körper befindet. Man spürt, dass es keinen Unterschied zwischen dem eigenen Arm und dem Stuhl gibt, auf dem man sitzt. Es gibt keine Trennung zwischen dem Körper und den Menschen um euch herum. Es fühlt sich so an, als ob alles Teil einer Einheit ist.

„Wir führen laufend Analysen dieser unvorstellbaren Datenbank spiritueller Erfahrungen durch“ sagte Dr. Newberg. „Wir hoffen, mehr über die Natur dieser Experimente zu erfahren, wie sie wahrgenommen werden und wie sie Menschen beeinflussen. Wir planen auch, diese Informationen mit dem zu verbinden, was wir über das menschliche Gehirn kennen.“

Direkte Erfahrung, Religion und Spiritualität

Hier das Beispiel von Reed und seinem mystischen Erlebnis, das von einem Psychologen analysiert wurde:

„Nach der Wanderung in der Dämmerung auf einem anstrengenden Pfad entlang des Meeres stellte Reed fest, dass sein Herz durch einen Adrenalinschub raste. Er beschloss, es ruhiger angehen zu lassen und am Rand des Wassers entlang zu gehen. Als er in die Sonne starrte, die über dem Ozean aufging, „überwältigte mich ein plötzliches, ausgedehntes Gefühl des unendlichen Universums.“ Zur gleichen Zeit fühlte er sich „vereint mit dem riesigen Ozean und dem Himmel…“, und dieses Gefühl wurde unmittelbar zu etwas ganz anderem: „Ich begann dann, schreckliche Angst zu spüren…“ und wie er später sagte „dieses Empfinden hätte mich zerschmettert, wenn es nicht aufgehört hätte.“ Reeds gesamtes Erlebnis „dauerte nur einen Augenblick“, aber es beförderte ihn an die äussere Grenze seines Durchhaltevermögens.“ Dr. Kevin Nelson

Der Schrecken des Gefühls der Einheit

Wenn Menschen das Göttliche spüren, kann der Schock des vollständigen Einsseins zu Ängsten führen. Statt verwurzelt und zentriert zu sein fühlen sie sich völlig alleine. Manchmal fragen sich diese Personen, was Realität wirklich ist und ob wir vielleicht alle nur ein grosser Spiegel des höchsten Selbst sind.

Weil wir nicht über eine mystische Tradition in unserer Kultur verfügen, haben wir kein Bezugsystem dafür, was wirklich geschieht, und da das Ego uns gänzlich verlassen muss, damit wir das Göttliche erfahren, fühlen wir uns manchmal auch, als ob wir in diesem Prozess sterben würden.

Um es sehr deutlich zu sagen: das Ego ist das Werkzeug des Geistes, um Realität als getrenntes Wesen zu erfahren. Ohne dieses Ego nehmen wir ausschliesslich endlose Verbindung wahr und werden uns jedermann und allem um uns herum übermässig bewusst. Wie ihr sehen könnt, ist das Ego ein Werkzeug für diese Erfahrung und ohne es können wir uns völlig ausserhalb unseres Elements fühlen, bis wir ein wenig Praxis darin haben, geerdet und ausbalanciert zu bleiben.

In Reeds Fall hatte er keinen Zweifel, dass er mit dem Göttlichen in Kontakt gekommen war. Während mystischer Erlebnisse spüren Menschen ihr Ego nicht; also haben sie keinen Zweifel daran, dass das, was sie erleben, sehr real ist. Dieses Gefühl, kombiniert mit dem Spüren der höchsten Verbundenheit, war ein schneller Auslöser für Angst. So, wie unser Gehirn „verdrahtet“ ist, sind das Angstgefühl und die Einheit fest verbunden. Je mehr wir beginnen, uns selbst vollständig zu akzeptieren, desto leichter ist es, das Einssein zu erleben.

Zwei Arten der mystischen Erfahrung

Es gibt zwei Arten der mystischen Erfahrung: die innerliche und die äusserliche. Mit dem äusserlichen oder extrovertierten mystischen Erlebnis, wie das von Reed, sieht man durch seine physischen Sinne nach aussen und verbindet sich dort mit der Einheit.

Die introvertierte mystische Erfahrung geschieht, wenn man vollständig nach innen geht und seine physischen Sinne ausschliesst. Bei dieser Erfahrung grenzt man die äussere Welt aus und schreitet hinüber in „reines“ Bewusstsein.

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Beispiel für eine introvertierte mystische Erfahrung:

Eines Nachts lag Frank mit geschlossenen Augen ruhig im Bett und begann, in den Schlaf zu gleiten, als: „ich ohne jegliche Vorahnung ein Punkt des Bewusstseins wurde, völlig ohne jegliche physische Form.“ Obwohl das nur der Anfang seines Erlebnisses war, hinterliess allein dieses Gefühl eine unauslöschliche Spur in Frank, das ihn überzeugte, dass er die absolute Wirklichkeit berührte.“ Dr. Kevin Nelson

Viele Wissenschaftler, die tief in die Studie mystischer Erlebnisse eingetaucht sind, wie zum Beispiel der Diplom-Psychologe William James, glauben, dass diese Erfahrungen für Menschen universell sind. Mit anderen Worten: es gibt keine Erlebnisse, die auf einer bestimmten Kultur oder Religion basieren. Obwohl jede Einzelperson seine oder ihre Religion oder Kultur verwenden mag, um die Erfahrung zu beschreiben, unterscheidet sie sich nicht, egal welchen Glauben diese Person hat.

Mystische Erfahrungen werden seit der Frühgeschichte aufgezeichnet und haben ihren Anfang in antiken Ritualen. Das ist der Punkt, wo die Neurowissenschaft ins Spiel kommt und auf das Ur-Gehirn verweist.

Die Chemie des Einssein in unserem Gehirn

Der bekannte Neurologe S. Weir Mitchel drängte William James, mit Meskal zu experimentieren, das von der indigenen Bevölkerung im Südwesten [der USA] benutzt wird. James, der auch Arzt ist, war neugierig und entschied sich, das Bewusstsein zu erforschen durch das Annehmen „einer grösseren Welt des Seins als die unseres täglichen Bewusstseins“.

Obwohl ein mystisches Ereignis „einfach passieren“ kann, können sie manchmal auch durch bewusstseinserweiternde Drogen ausgelöst werden. Neurowissenschaftler setzen Halluzinogene wie Psilocybin, Lysergsäurediethylamid (LSD) und Meskal ein, um Erlebnisse hervorzurufen, die sie dann mit bildgebenden Verfahren beobachten können.

Sie betrachten auch Serotonin im Gehirn aufgrund dessen Rolle bei Depressionen, Angst, Erinnerung und Bewusstsein an sich.

Bei ihren Forschungen stellt sich heraus, dass das Erlebnis des mystischen Einssein durch eine einzigartige Qualität der Serotonin-Neurochemie, bekannt als Serotonin-2a, umgesetzt wird. Unser emotionales Gehirn, bekannt als das limbische System, verfügt über Serotonin-2a-Nervenenden. Falls sie aus irgendeinem Grund abgebaut werden, erzeugt das Gehirn das mystische Erlebnis, ähnlich wie das LSD.

Sind das wirklich spirituelle Erlebnisse?

Ein mystisches Erlebnis kann das Leben einer Person dramatisch ändern. Obwohl wir genau festgestellt haben, wie ein mystisches Ereignis eingeleitet werden kann, so muss ein solches dennoch nicht immer die tiefgreifenden lebensverändernden Effekte haben wie das auch geschehen kann – wie zum Beispiel, jeden und alles mit Liebe und Respekt zu behandeln.

Für James war vollständig klar, dass das Erlebnis echt war. „An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen, nicht an ihren Wurzeln.“ Mit anderen Worten sollten wir uns nicht damit aufhalten, was das Erlebnis verursacht, sondern uns stattdessen darauf konzentrieren, was herauskommt.

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Wie Kultur unsere Sichtweise auf mystische Erfahrungen verschieben kann

Wenn wir unsere Erfahrungen verstehen wollen, müssen wir sie uns aus vielen Perspektiven anschauen und mit so wenig Voreingenommenheit wie möglich. Wenn ihr als Christ ein solches Erlebnis hättet, könntet ihr plötzlich glauben, dass ihr in diesem Moment Gott seid. Das würde aufgrund des überwältigenden Wissens und dem Gefühl der Verbindung mit allem geschehen, und aufgrund eures Glaubens, dass Gott diese Kraft ist. Diese plötzliche Überzeugung könnte sich verwirrend anfühlen und jede Menge Angst bei anderen verursachen.

Das nächste Mal also, wenn ihr Andere sagen hört, sie seien Gott, erkennt ihr, dass es an einer persönlichen mystischen Erfahrung liegen könnte. Wenn sie sich das Erlebnis genau betrachten, werden sie sehen können, dass wir alle in der gleichen Weise die Fähigkeit haben, die Verbindung zur Einheit zu erfahren und dass wir alle per Definition göttlich sind.

Hinweis:
Im englischen Originalbeitrag (eingangs verlinkt) findet man die Quellenangaben sowie ein dem tieferen Verständnis dienendes Video von Alan Watts (in Englisch), „der viel über dieses unglaubliche und lebensverändernde Erlebnis gesprochen hat“. Ausserdem findet man dort einige Angaben zur Autorin und Links zu verwandten Artikeln.