geschrieben von Paul Levy auf wakingtimes, übersetzt von Antares

Diese Zeiten des neuen Normalen sind in keiner Weise normale Zeiten. Die Psychoanalytikerin Joyce McDougall prägte den Begriff Normopathie, um eine exzessive – und pathologische – Anhaftung und Adaption an konventionelle soziale Normen zu bezeichnen. Der englische Psychoanalytiker Christopher Bollas prägte einen Begriff mit ähnlicher Bedeutung – normotisch, was wiederum eine Abwandlung und eine Anspielung auf das Wort neurotisch zu sein scheint. Die Menschen, die normopathisch oder normotisch sind, haben keinen eigenständigen Sinn für sich selbst entwickelt, sie weisen eine neurotische Besessenheit auf, normal zu erscheinen, um sich anzupassen – sie sind abnormal normal. Dieser Krankheit zugrunde liegend ist die Unsicherheit, beurteilt und abgelehnt zu werden. Normotiker sind übermässig darüber besorgt, wie andere sie sehen, was sie dazu verleitet, voller Angst zu verzichten, kreativ ihre einzigartige Individualität auszudrücken (welche dadurch unentwickelt bleibt). Folglich haben sie Angst, sich mit ihrer eigenen Individuation zu befassen. Wie Jung empfiehlt, sollten wir uns fürchten, zu gesundheitsorientiert zu sein, weil dies ironischerweise schnell ungesund werden kann.

Viele Familien, Gruppen oder Gesellschaften sind vollkommen mit Normopathie behaftet (gemäss den Regeln der Gruppe, was als „normal“ erachtet wird), so dass es als normal betrachtet wird, normotisch zu sein. Das Merkwürdige daran ist, dass, wenn nahezu jeder in der Gruppe normotisch ist, die Pathologie als normal und gesund gesehen wird, was die Person in der Gruppe, die sich nicht daran beteiligt, normotisch zu sein, als ab-normal erscheinen lässt, als denjenigen mit der Pathologie. Unsinnigerweise projizieren jene mit der Pathologie ihre eigene Verrücktheit auf denjenigen, der sie in der Tat nicht hat, um ihn nunmehr zu pathologisieren. Etwas in dieser Art geht in unserer Welt derzeit vor sich.

Eine der grössten Gefahren innerhalb des Unterbewusstseins ist die Anfälligkeit für Suggestionen, bei denen wir die Sichtweisen anderer Menschen auf die Welt – und auf uns selbst – übernehmen und damit leicht dem vorherrschenden kollektiven Gruppendenken der Herde zum Opfer fallen. Die Neigung zum Gruppendenken korreliert heftig mit einer Anfälligkeit dafür, dass unser Verstand von Kräften ausserhalb unserer selbst übernommen, manipuliert und kontrolliert wird.

Welchen Begriff wir auch immer verwenden – normopathisch oder normotisch – es gibt viele Menschen, die abhängig sind und ihren Selbstwert von der externen Bestätigung durch andere ableiten. Da wir alle soziale Wesen sind, haben wir einen unbewussten Drang, einer Gruppe angehören zu wollen, was uns die Möglichkeit eröffnet, uns von unserem eigenen intrinsischen Drang nach einzigartiger Individualität abzutrennen. Statt die Welt mit unseren eigenen Augen zu sehen, sehen wir dann die Welt – und eben uns selbst, d.h. unser eigenes Selbst-Bild – nicht dadurch, wie andere uns sehen, sondern wie wir uns vorstellen, dass andere uns sehen. Die Quelle dieses Prozesses liegt in unserer eigenen kreativen Vorstellungskraft, die wir nach aussen zu anderen hin verschoben haben. Um uns mit unserer eigenen Souveränität zu verbinden, müssen wir die Quelle in uns selbst finden, aus der unsere wahre kreative Kraft entspringt.

In diesen herausfordernden Zeiten, die wir gerade durchleben, ist es von entscheidender Bedeutung, uns nicht „anzupassen“, sondern unseren einzigartigen kreativen Geist zum Ausdruck zu bringen, der mehr als alles andere durch uns selbst kommt und seinen Platz in der Welt finden möchte. Statt uns blind und passiv dem ,neuen Normal’ zu unterwerfen, sollten wir „das neue Unnormale“ erschaffen, in dem wir radikal handelnd dafür eintreten, unser natürliches kreatives Selbst zu sein. Während unterdrückte und unausgedrückte Kreativität das grösste Gift für die menschliche Psyche ist, das wir kennen, ist Kreativität, die die freie Lizenz erhält, sich auszudrücken, die beste Medizin, die wir uns nur vorstellen können.