Von Eli Glezvalle auf fractalenlightenment.com

Es ist nicht so, dass die Göttin die Welt regiert; sie ist die Welt.
Sie manifestiert sich in jedem von uns, und sie kann von jedem Individuum in all ihrer grossartigen Vielfalt innerlich erkannt werden.“  
 ~    Starhawk

Die Grosse Göttin ist die Quelle des Lebens, das Ursache von allem, was existiert, und sie ist unter vielen Namen bekannt – die Göttin Sophia, von den Gnostikern so genannt, Astarte bei den Kanaanitern, die Königin des Himmels oder Isis von den Ägyptern und Ishtar von den Babyloniern. Sie ist auch Mutter Gaia oder Pachamama, wie sie von den schamanischen Stämmen genannt wird.

Das weibliche Prinzip ist überall um uns herum präsent. Es ist im Wasser der Ozeane, aus dem sich organische Lebensformen entwickelt haben; es ist im Wasser des Mutterleibs, das das ungeborene Kind nährt, bis es bereit ist, sich der äusseren Welt zu stellen.

Das weibliche Prinzip ist überall in der Natur zu sehen, wo Mütter sich um ihre Babys kümmern und ihnen beibringen, wie sie die äusseren Bedingungen überleben können. Sie würden unter allen Umständen ihr Leben riskieren, um ihre Kinder zu schützen, denn ihre Liebe ist tiefer als das Leben selbst. Diese Wahrheit zu leugnen, hiesse, unsere eigene Herkunft als menschliche Wesen zu verleugnen.

Es gibt Beweise von Historikern und Archäologen wie G. Rachel Levy, J. J. Bachofen oder Robert Briffault (um nur einige zu nennen), dass die alten Zivilisationen, unter anderem die alten Ägypter, Phönizier und Sumerer, und die späteren heidnischen Kulturen in der frühesten Form ihrer Religion die Göttin verehrten als das erste Göttliche Wesen des Universums, das das Leben auf dieser Erde hervorbrachte.

Die Erde selbst ist Gaia: ein lebender Organismus, der atmet und sich entwickelt. Dies ist kein Mystizismus, sondern eine Theorie, die vom Chemiker James Lovelock vorgeschlagen und von der Mikrobiologin Lynn Margulis in den 1970er Jahren mitentwickelt wurde, und die unter anderem die Frage einschliesst, wie die Biosphäre und die Evolution der Organismen die Stabilität und Bewohnbarkeit der Erde beeinflussen.

Während der letzten 2500 Jahre haben die Menschen allmählich diese ganz ursprüngliche Verbindung zu Mutter Gaia verloren, da die matrifokalen Gemeinschaften nach und nach durch ein patriarchalisches System ersetzt wurden, das auf Imperialismus, Kolonialismus und monotheistischen Religionen eines männlichen Gottes beruhte und in dessen Namen Kriege geführt und gerechtfertigt wurden.

Diese Kultur ist heute so stark verankert, normalisiert und akzeptiert, dass selbst dann, wenn diese Religionen vollständig von der Politik getrennt werden könnten, die Grundprinzipien unserer Ursprünge – Sexualität und Spiritualität – als primitiv oder weniger entwickelt angesehen werden. Worauf sonst könnten Menschen neugieriger sein, wenn nicht auf ihren eigenen Körper und woher das alles kommt?

Heutzutage hat man das Gefühl, wir müssten zwischen Materie oder Geist, Wissenschaft oder Spiritualität, Verstand oder Seele, Logik oder Intuition wählen, da diese nicht aus derselben Quelle stammen könnten. Doch können wir zum Beispiel nur einen Blick auf die Biologie des Menschen werfen, um zu verstehen, wie die Dinge verschmelzen, wenn wir zu den Ursprüngen zurückgehen.

In den ersten Wochen im Leben eines Säugetierembryos ist er ein undifferenziertes Geschöpf mit bisexuellem Potenzial. Durch die Chemie im Embryo wird bestimmt, ob sich das Wesen in ein Männchen entwickelt oder weiblich bleibt. Warum ‚bleibt‘?

Wenn es keine Veränderung in der Chemie gibt – durch Abwesenheit von Androgen – wird sich der Embryo zu einem Weibchen entwickeln. Erst durch die Veränderung dieser weiblichen Chemie, d.h. durch das Erscheinen von Androgen, entwickelt sich der Embryo zu einem Männchen.

Diese Tatsache wurde 1961 von Dr. Sherfey entdeckt und in der wissenschaftlichen Gemeinschaft als die Induktor-Theorie akzeptiert: dass alle Säugetierembryonen in den frühen Stadien des fötalen Lebens anatomisch weiblich sind.

Jetzt, da wir verstehen, wie wir alle unter den gleichen Bedingungen entstanden sind und uns auf unterschiedliche Weise entwickelt haben, können wir erkennen, wie die alten Menschen das Prinzip der Natur begriffen haben. In diesen sogenannten „primitiven“ Gesellschaften, und in einigen von ihnen, die bis heute überlebt haben, wurde die Rolle der Frau als grundlegend für die Entwicklung der Gemeinschaft angesehen.

In einigen Urvölkersprachen wurden Frauen als Lebensspenderinnen bezeichnet: Sie waren die Portale, durch die die Seelen aus dem Universum als physische Körper in diese Welt kommen. Man sah in ihnen das Tor zwischen der geistigen Welt und der Welt der Materie. Aus diesem Grund wurden Frauen verehrt und als heilig und aufgrund ihrer Körper als eine Repräsentation der Erde selbst betrachtet – mit ihren besonderen Zyklen und Veränderungen und als Träger des Lebens.

Während jener Zeit „besassen“ Frauen das Land und die Ressourcen und sorgten für die Aufrechterhaltung von Harmonie und Überleben. Das Wort „besitzen“ ist nicht wirklich zutreffend, da Land oder Ressourcen nicht als Eigentum betrachtet wurden, das es auszubeuten galt, sondern als ein Geschenk von Mutter Gaia, um das höchste Wohl der Gemeinschaft zu respektieren und zu transformieren.

Frauen waren Führerinnen und Oberhäupter, da ihr Rat und ihr Wissen, insbesondere während der Menstruationszeit, hoch geachtet wurden. Damals hatten sie die höchste Intuition und sie sprachen mit den Geistern und trafen Entscheidungen, die für den Stamm von grundlegender Bedeutung waren. Sie waren auch Visionäre und Ärzte, denn sie sammelten und studierten alle notwendigen Pflanzen und Samen, um Krankheiten zu heilen und die Gemeinschaft ernähren zu können.

Die Menschen in diesen Gesellschaften, sowohl Männer als auch Frauen, betrachteten sich nicht als etwas von der Natur Getrenntes, sondern als Teil der Natur, wie Kinder von Mutter Erde. Sie sahen keine Entfremdung und deshalb gab es auch keine Ausbeutung, denn dies hätte eine Ausbeutung ihrer selbst und ihrer eigenen Kinder bedeutet.

Sie waren Teil des Universums bzw. das Universum war ein Teil von ihnen, kommunizierte mit ihnen, entwickelte sich und atmete durch sie. So wie Mutter Gaia mit Hilfe des Himmelsregens, der eigentlich ihr eigenes Wasser ist, bringen Frauen Leben in diese Welt mit Hilfe der Männer, die den Samen in sie pflanzen, aber es wurde geglaubt, dass die Seelen von Geistwesen in den Schoss gelegt wurden, von derselben Kraft, die das Universum erschaffen hat.

Daher wurde die Sexualität als ein heiliger Akt und der Ursprung aller in der Welt geschaffenen Dinge angesehen. Sie wurde gefeiert und geehrt, genossen und respektiert. Es konnten Sexualität und Spiritualität nicht voneinander getrennt werden, da sie untrennbar miteinander verbunden waren. Es war für die Menschen eine natürliche Verbindung, das Wunder des Lebens zu feiern, die Freuden des Körpers als ein Geschenk der Göttin zu geniessen und zu umarmen.

Sie verstanden die Liebe, die von der Göttin ausging, und sie schätzten und verehrten diese Liebe, indem sie sie mit anderen teilten. In jenen Zeiten gab es keine Angst, Scham oder Schuldgefühle, auch keine Unterdrückung der Frauen und ihrer Sexualität. Diese Folgen kamen in der Tat später mit dem Beginn der grossen monotheistischen Männer-Götter-Religionen.

Wir neigen in unserer westlichen Gesellschaft dazu, die Zeit als etwas zu sehen, das von linearer und logischer Beschaffenheit ist, und deshalb wird alles, was später in der Zeit geschieht oder entwickelt wird, als weiterentwickelt oder weiter fortgeschritten betrachtet.

Wenn man sich aber ansieht, wie die Menschen die Luft verschmutzen, das Land ausbeuten und den Regenwald abholzen, und wie Millionen von Menschen auch heute noch leben, ohne genügend zu essen zu haben, wäre es fair, sich zu fragen, ob unser Konzept einer „fortgeschrittenen“ Gesellschaft wirklich genau diese Welt definieren soll, in der wir leben, während die anderen Kulturen als „primitiv“ angesehen werden.

„Die Göttin ist nie verloren gegangen. Es ist nur so, dass einige von uns vergessen haben, wie man sie finden kann.   ~    Patricia Monaghan

Diese alten Gesellschaften waren alles andere als primitiv. Sie verstanden die Geheimnisse des Lebens und wie Mutter Gaia und ihre Jahreszeiten mit unserem eigentlichen Kern als Menschen verbunden sind – als Seelen, die auf dieser Erde in einem physischen Körper wandern und eine spirituelle Erfahrung machen, die es zu geniessen und zu feiern gilt.

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Bildquellen:
Göttin Sophia von Emily Balivet
Mutterliebe von Jonna Lamminaho