Eine Geisteshaltung des Überflusses entwickeln – frei geben können – sich erfüllt fühlen
Von Rafael Sarandeses, gefunden auf bibliotecapleyades.net
Am vergangenen Wochenende gingen wir hinaus, um das herrliche Wetter zu geniessen.
Mein dreijähriger Sohn Rafa fing an, mit einem neuen Lastwagen zu spielen. Die Art von Spielzeug mit all den beweglichen Teilen, Lichtern und Farben, die ein Kind in diesem Alter verrückt machen können.
Irgendwann kommt ein anderes Kind von ungefähr gleichem Alter auf ihn zu und sagt:
„Hallo, kann ich mit deinem Lastwagen spielen?“
Ich bereitete mich auf das klassische „Nein, der gehört mir“ meines Dreijährigen vor und erwartete den peinlichen Austausch von Lächeln mit dem Elternteil des anderen Kindes.
Doch stattdessen antwortete mein Sohn: „Ja, hier hast du ihn.“ Ich traute meinen Augen nicht.
Das andere Kind, dankbar und etwas überrascht, antwortete mit „Danke! Möchtest du mit mir spielen?“
Und so gingen sie und genossen miteinander das Spielen im Sand mit dem Spielzeug des Kameraden. Es war so ein so kleiner Moment, der mich daran erinnerte, wie wichtig das Geben ist und wie es uns hilft, ein erfüllteres Leben zu führen.
Im Laufe der Jahre habe ich viel über die Wissenschaft des Teilens gelernt, und heute möchte ich dieses Wissen mit euch teilen.
Die Überfluss- vs. die Knappheitsmentalität
„Die grösste Entdeckung meiner Generation ist,
dass ein Mensch sein Leben ändern kann,
indem er seine Geisteshaltung ändert“.
~ William James
Mein Sohn hatte sich unwissentlich dafür entschieden, an ein Paradigma des Überflusses zu glauben.
Dieses Konzept wurde populär dank Steven Covey und seinem Bestsellers „7 Gewohnheiten hochwirksamer Menschen“. Das Paradigma der Knappheit ist ein Paradigma, in dem man das Leben als einen grossen Kuchen betrachtet, als ein globales Nullsummenspiel. Wenn jemand ein Stück des Kuchens nimmt, dann gibt es weniger Kuchen für alle anderen. Dein Gewinn ist mein Verlust.
Menschen mit dieser Denkweise sind defensiv… Sie sind darum besorgt, das zu schützen, was sie haben, und wollen gleichzeitig immer noch mehr erreichen, ohne dass sie bereit sind, aus ihren selbst auferlegten Grenzen herauszuwachsen. Menschen, die in einer Denkweise des Überflusses leben, glauben stattdessen, dass es da draussen genug für alle gibt. Dass eine Partnerschaft vielleicht besser ist als ein Alleingang. Dass es wichtig ist, sich auch um die Interessen der Gruppe zu kümmern.
Dass Entscheidungsfindung, gute Ideen und Gewinne es wert sind, geteilt zu werden, um etwas aufzubauen, das grösser ist als sie selbst.
Überfluss ist praktikabel
Die Akzeptanz einer Mentalität des Gebens im Leben ist nicht nur aus moralischer Sicht richtig.
Von einem viel praktischeren Standpunkt aus betrachtet, hat sie einen phänomenalen Einfluss auf unser psychologisches Wohlbefinden und kann ein zentraler Faktor für unseren Erfolg im Leben sein.
Lasst uns untersuchen, warum dies der Fall ist…
Unsere Gehirne sind verdrahtet, um zu geben…
„Angenommen, du könntest angeschlossen werden an eine hypothetische ‘Erfahrungsmaschine’, die für den Rest deines Lebens dein Gehirn stimulieren würde und dir alle positiven Gefühle, die du dir wünschst, geben könnte.
Die meisten Menschen, denen ich diese imaginäre Wahl anbiete, lehnen eine solche Maschine ab. Es sind nicht nur positive Gefühle, die wir wollen: wir wollen auch ein Recht auf unsere positiven Gefühle haben.“
~ Dr. Martin Seligman
Im Jahr 2014 beleuchtet eine von der Neurowissenschaftlerin Molly J. Crocket geleitete Studie, wie sehr sich Menschen im Verhältnis zu sich selbst um andere kümmern, und die Ergebnisse waren überraschend.
Sie zeigten, dass Menschen im Durchschnitt bereit waren, doppelt so viel Geld zu zahlen, um zu verhindern, dass jemand anders einen Elektroschock erhält, als sie bereit wären zu zahlen, um zu verhindern, dass sie selbst einen Elektroschock in gleicher Stärke erhalten würden.
Es erscheint vorerst rätselhaft, welche Schlussfolgerungen daraus gezogen werden sollen.
Wie passt das zu unserem Vorurteil zum Thema Überleben, unserem angeborenen Sinn zum Selbstschutz im Angesicht einer Gefahr? Ein kleines Experiment könnte uns helfen, diesen scheinbaren Widerspruch zu verstehen.
Mache in den nächsten Tagen zwei der folgenden Dinge:
- Etwas Lustiges
- Etwas Altruistisches
Plane beiden Ereignisse und schreibe dazu, wie du dich deiner Meinung nach der Ausführung dieser beiden unterschiedlichen Handlungen fühlen wirst.
Schreibe dann unmittelbar nach Abschluss der beiden Aktivitäten auf, wie du dich tatsächlich fühlst. Schreibe am Ende des Tages nochmals auf, wie du dich nun fühlst, einige Zeit nachdem beide Ereignisse stattgefunden haben.
Es ist recht wahrscheinlich, dass das Hochgefühl nach der Ausführung von etwas Lustigem noch eine kurze Weile anhält und dann verschwindet. Es ist eine Befriedigung, die sich kurz nach dem Ende der Aktivität aufbraucht. Wenn du ins Kino gehst und den Film genossen hast, wirst du dich nach dem Verlassen des Ortes gut fühlen, aber dieses Gefühl wird danach nicht allzu lange anhalten.
Wenn du jedoch einen zufälligen Akt der Freundlichkeit ausführst, wird der Wohlfühleffekt noch Stunden nach dem Ereignis andauern. Versuche, einem kleinen Jungen bei seinen Hausaufgaben zu helfen oder jemandem in Not zuzuhören. Oder spende für eine Sache, an die du wirklich glaubst.
Die positiven Gefühle, die sich aus dem altruistischen Akt ergeben, werden noch lange Zeit nach dem Ereignis andauern.
…und die Positive Psychologie weiss, warum
Die Positive Psychologie ist das Fachgebiet hinter der wissenschaftlichen Theorie des Glücks.
Vor nicht allzu langer Zeit konzentrierte sich die Psychologie nur darauf, sorgenschweren Gemütern zu helfen, zu einem gesunden Zustand zurückzukehren: Patienten, die an Depressionen und anderen psychischen Störungen leiden.
Sie versuchte, diese Patienten auf der Wohlbefindensskala von „-10 auf 0“ zurückzubringen.
Die positive Psychologie hingegen versucht, die Frage zu beantworten,
„Was kann einen gesunden Geist gedeihen lassen?“
Sie untersucht wissenschaftlich, wie wir auf der Wohlbefindensskala von „0 bis +10“ gehen können.
Der Vater der positiven Psychologie ist Dr. Martin Seligman, Autor von Büchern wie „Authentisches Glück“ und „Gelernter Optimismus“ und Gründer des Zentrums für Positive Psychologie an der University of Pennsylvania.
Nach jahrelanger Forschung hat er 5 Kernpfeiler entwickelt, die als Infrastruktur für unser psychologisches Wohlbefinden und Glück dienen.
Es wird das PERMA-Modell genannt:
- P für Positive Emotion: Wohlbefinden, Optimismus, Freude und Genuss.
- E wie Engagement: erfüllende Arbeit, aufregende Hobbys, Eintauchen in ein Gefühl des „Flow“.
- R für Relationen/Beziehungen: tiefe soziale Verbindungen, Liebe, Intimität, emotionale und körperliche Interaktion mit anderen.
- M für ‘Meaning’/Sinn: im Leben einen Sinn erfahren.
- A für Ausgefüllt sein/Erfüllung/Erfolg: sich Ziele setzen und verfolgen, seine Zielsetzungen/Ambitionen verwirklichen, Erfolgserlebnisse erleben.
All das kannst du in einem einzigen Akt des Gebens erleben, sei es in ein gemeinsames Essen mit einem Freund oder durch die Spende einer grösseren Summe für einen guten Zweck.
Warum Schenken uns erfüllt
Schenken trägt auf vielfältige Weise zu unserem Leben bei, entspricht aber auch genau dem PERMA-Modell.
- Wenn wir geben, erzeugen wir positive Emotionen.
Dies löst unter anderem eine körperliche Reaktion aus: die Freisetzung von Dopamin. Dieses Hormon wird vom Gehirn ausgeschüttet und reguliert das Lustempfinden. Es hilft uns auch, Gewohnheiten zu entwickeln, indem es die Wiederholung der Aktivität stimuliert, die uns vor allem Freude bereitet hat, und zwar immer und immer wieder. - Das Geben hilft uns auch, unsere Beziehungen mehr verpflichtend zu gestalten. Es steigert die Qualität unserer Interaktionen mit anderen.
Die Wertschätzung von jemandem zu erhalten, dem wir gerade geholfen haben, ist nicht nur auf persönlicher Ebene lohnend, sondern auch ein wirksames Mittel, um unsere soziale Bindung zu dieser Person zu festigen.
Geben geht jedoch weit über das Ermöglichen positiver Emotionen oder besserer Interaktionen mit anderen hinaus.
Es kann zu einem tiefgreifenden Motor für unseren Erfolg im Leben werden, indem es direkt zu den Sinn- und Leistungskomponenten des PERMA-Modells beiträgt.
Schenken als Zweck
In „Grit – The Power of Passion and Perseverance“ (Die Kraft der Leidenschaft und Ausdauer) von Penn’s Psychologin Angela Duckworth habe ich von Kat Cole erfahren.
Cole begann ihre Karriere als Kellnerin bei Hooters, während sie noch die High School besuchte. Später stieg sie, im Alter von 26 Jahren, zur Vizepräsidentin des Unternehmens auf. Heute ist Kat Cole Gruppen-Präsidentin von Focus Brands, einem Investitions- und Beratungsunternehmen mit humanitären Zielsetzungen.
Dies ist ihre Einstellung zum Geben:
„Wenn man nur einer Person in einem einzigen Augenblick Gutes tut, kann man den Verlauf vieler Dinge, vieler Leben auf der ganzen Welt beeinflussen.
Auch wenn es in manchen Situationen nicht leicht ist, freundlich, gütig oder positiv zu sein, denken Sie daran, dass es nicht nur dieser Moment ist, den Sie beeinflussen, sondern viele Momente in der Zukunft.“
Sie unterscheidet zwischen produktiven Leistungsträgern und destruktiven Leistungsträgern.
Wie sie selbst kürzlich in einem Interview beschrieben hatte:
„Es gibt viele Menschen, die durch ihre Definition einer typischen Person unglaublich erfolgreich waren, sei es finanziell oder in Bezug auf die Karrierebeschleunigung, aber sie haben es destruktiv getan, indem sie andere nicht hochgehoben und mitgenommen haben.
Dann gibt es diejenigen, die produktive Leistung erbracht haben, die auch andere mitgenommen und einen Unterschied gemacht haben.“
Für Cole bedeutete ihre Haltung des Gebens, andere hochzuziehen und sie auf ihrem Weg des Wachstums mitzunehmen.
Ein tiefes Gefühl der Zweckbestimmung, das auf einer Überflussmentalität beruht, hatte einen bedeutenden Einfluss auf ihren beruflichen Erfolg.
Geben und Glücklichsein – Meine Erfahrung
Als Vater achte ich sehr darauf, wie meine beiden Kinder miteinander umgehen und wie sie mit anderen umgehen.
Ich bin neugierig auf die Motivationen, die hinter ihren täglichen Entscheidungen stehen. Über ihr Warum… Die instinktive Reaktion meines Sohnes im Park erinnerte mich an meinen Wandel zu einer mehr gebenden Haltung.
In den letzten zwei Jahren habe ich entdeckt, dass meine Sinnhaftigkeit immer mehr mit Menschen zusammenhängt, und weniger mit Geld und der Definition von „Erfolg“ nach heutigen gesellschaftlichen Massstäben.
Zwei Faktoren haben dazu beigetragen, dies auszuprägen:
- Die Aktivitäten, die meine Firma GIIN (Global Impact Investing Network) im östlichen und südlichen Afrika leitet.
- Mein Interesse an der Entwicklung des menschlichen Potenzials und Wohlbefindens und meine persönliche Ambition, Menschen dabei zu helfen, bessere Versionen ihrer selbst zu werden.
Die beiden Wege sind zwei Ausdruck derselben Denkweise.
Der Glaube an den Überfluss – ohne uns dabei gedankenlos hinzugeben oder unsere Ambitionen zu verleugnen – kann uns auf den Weg zu persönlichem Wohlergehen und Erfolg im Leben führen.
Glück muss man sich verdienen. Man kann ihm nicht nachjagen. Man kann es nicht produzieren. Beim Glück geht es um die Übereinstimmung unseres täglichen Handelns mit unseren Prinzipien. Die Art und Weise, wie wir auf die täglichen Anforderungen des Lebens reagieren.
In diesem Kontext wird ein Tugendkreislauf aus Dankbarkeit und Geben zu einem entscheidenden Element eines erfüllten Lebens – wie die Positive Psychologie, die Wissenschaft vom Glück, beweist.
Schlussfolgerung
Zusammenfassend kann man sagen, dass das Leben kein Nullsummenspiel ist.
Eine Denkweise des Überflusses ist sowohl möglich als auch praktikabel. Die Wissenschaft hat gezeigt, dass unsere Gehirne so verdrahtet sind, dass sie geben, weil sie positive Emotionen aus solchen Interaktionen ausdehnen.
Die Positive Psychologie bestätigt dies und gibt uns ein Modell an die Hand, mit dem wir zu produktiven Leistungsträgern werden können: PERMA.
Und wie endete der Tag im Park mit meinem dreijährigen Sohn?
Ah, ja! Irgendwann beschlossen wir zu gehen. Es war bereits Essenszeit. Als wir den Park verliessen, rannte das andere Kind auf uns zu und hielt meinen Sohn auf.
Er fragte: „Wie ist Ihr Name? Wirst du morgen wiederkommen?“
Ich schätze, an diesem Tag schuf das Geben eine neue Freundschaft…
Danke für das Teilen dieses Artikels. Habe sowas auch schon erlebt. Ich war an meinem Lieblingssee und bemerkte, wie eine Mutter sich mit Ihrem geistig behinderten Sohn immer wieder lautstark stritt. Irgendwann war es mir genug und ich bot der Frau meine Hilfe an, indem ich mich um ihren Sohn mitkuemmerte. Daraus ist eine Freundschaft entstanden, die für uns sehr erfüllend ist.