geschrieben von Gary Z McGee, Self-inflicted Philosophy auf Waking Times, übersetzt von Antares
„Einsamkeit ist schön, man braucht jedoch jemanden, der einem sagt, dass die Einsamkeit schön ist.“ ~ Honoré de Balzac
Einsamkeit und Meditation sind eine Kombination der machtvollsten Werkzeuge, die der Menschheit bekannt sind, vorausgesetzt, man kann sie letztendlich gegen das ebenso mächtige Werkzeug des magischen Elixiers tauschen.
Lass uns zunächst nicht zu weit vorgreifen. Wir wollen nicht den Fehler begehen, das Pferd von hinten aufzuzäumen. Um das magische Elixier zu entdecken, muss man zuerst die Einsamkeit und die Meditation wagen. Dies erfordert eine Art von Heldenreise: eine Phase der Trennung, eine Initiations-Phase und eine Phase der Rückkehr. Sehen wir uns das einmal an.
In die Wildnis (Phase der Trennung):
„Es ist das, was man in die Einsamkeit mitnimmt, was dort wächst, die Bestie im Innen eingeschlossen.” ~ Nietzsche
Manchmal ist der einzige Weg, um zu erkennen, dass das Leben wunderbar ist, ihm auf eine schöne Art und Weise entgegenzublicken.
Dies ist kein Plädoyer dafür, eine rosarote Brille aufzusetzen. Durchaus nicht. Es ist ein Aufruf, den allzu vertrauten Rost, all den Staub, die Dumpfheit, die Naivität, die Weichheit und die Zerbrechlichkeit der Komfortzone zu verlassen. Es ist ein Aufruf zur Schönheit, der Schönheit des Abenteuers. Die Schönheit, zwischen den Welten zu leben und die allzu notwendige Fähigkeit zu erlangen, hin und her zu wandern.
Einsamkeit ist machtvoll, denn sie trennt uns vom Gehetze und offenbart die miteinander verknüpfte Schönheit. Wir entwicklen uns von einer Ratte in einem Käfig zu einem Wesen, welches von seiner Verbindung mit der Natur als Ganzes bezaubert ist. Wir entwickeln uns von einem Mühlstein zwischen all der täglichen Plackerei zu einem Schleifstein, an dem wir uns schärfen können. Wir entwickeln uns von einem Rädchen im Uhrwerk zu einem Wecker, der uns zu höherem Gewahrsein erweckt. In der Einsamkeit können wir nicht mehr so tun, als ob wir schlafen würden.
Die meisten Mitglieder der Herde kommen niemals in den Genuss der Einsamkeit. Sie verbleiben eingeschlossen im Gehetze, in ihrer kulturellen Konditionierung feststeckend, gefangen in religiöser Indoktrination oder eingesperrt in politischer Gehirnwäsche. Sie verlieren den Blick für den zugrundeliegenden Wesenkern. Sie opfern ihre Wildheit für Sanftmut. Und wenn ihr Leben ein wenig Biss erfordert, kommen sie dahinter, dass sie keinerlei Zähne mehr haben.
Die Einsamkeit lässt das domestizierte Tier renaturieren und lehrt es, seine Zähne nachwachsen zu lassen. In der Naturschutzbiologie benennt der Begriff „Renaturieren“ (,Auswildern’) den Rehabilitationsprozess von Tieren in Gefangenschaft. Im Fall des „Renaturierens der Welt“ oder „Des Grossen Renaturierens“ ist das in Gefangenschaft lebende Tier zufällig ein Mensch.
Verstehe dabei: Renaturieren bedeutet nicht Rückschritt. Es ist keine Aufforderung zurück in die Höhle zu gehen. Wahrlich nicht. Es ist das exakte Gegenteil. Es ist der Ruf der Wildnis, der uns zu erkennen hilft, dass die Zivilisation die moderne Höhle Platons geworden ist. Der Ruf der Wildnis ist die Sehnsucht des Herzens, selbst wieder offenherzig zu werden. Renaturierung ist einfach ein gesundes Mittel, um dieses Ziel zu erreichen.
Renaturierung beginnt im Inneren. Wenn du dich selbst wieder und wieder neu renaturierst, magst du dir das Recht verdienen, die Welt zu renaturieren.
Lerne, dich durch die Einsamkeit nähren, anstatt dich von ihr besiegt zu lassen. Die Einsamkeit wird dich brechen. Das ist okay so. Lasse es zu. Du musst deine Gebrochenheit spüren. Du musst dich in sie verlieben. Andernfalls wirst du stets lediglich ein Narr deiner Hoffnung sein und niemals authentisch hoffnungsvoll.
Die Hoffnungsnarr-Hoffnungslos-Hoffnungsvoll-Dynamik (Initiationsphase):
„Das Leben hat keinen Bedeutungsgehalt. Jeder von uns hat eine Bedeutung und wir bringen sie ins Leben ein. Es ist eine Verschwendung, die Frage zu stellen, wenn du die Antwort bist.” ~ Joseph Campbell
Konfuzius beschrieb das „Fasten des Herzens“ als eine Form der Meditation, welche dazu führt, unsere Vorurteile loszulassen und Raum zum Empfangen zu schaffen.
Der Hoffnungsnarr betritt seine Einsamkeit voller Vorurteilen und Erwartungen. Dessen Becher ist überströmend mit Grössenwahn und Schubladenbedeutungen. Er muss dem Leben erst noch seinen eigenen Sinn eingeben, da er in der Illusion ertrinkt, die Existenz sei sinnvoll.
Um dem Leben einen eigenen Sinn zu schenken, muss das Individuum seine vorgefasste Meinung absterben lassen, das Leben sei sinnvoll. Das bedeutet, das Individuum muss hoffnungslos werden.
Alle Hoffnung zu verlieren, ist der Beginn einer sinnvollen Hoffnung. Es ist das Überschreiten der ersten Schwelle. Es ist das Sich-Hingeben an den Fall in den Kaninchenbau (,Rabbit Hole’). Es ist das Einnehmen der roten Pille, nachdem man der blauen entsagt hat. Es ist die Umarmung der Wüste des Realen nach dem Verlassen der Höhle Platons. Es bedeutet „Raum zu schaffen, um zu empfangen“. Was empfängt man? Die Wahrheit. Die harte Wahrheit. Die herbe Wahrheit, dass die Realität im Grunde bedeutungslos ist.
Diese herbe Wahrheit ist ein dunkles Geschenk. Es ist der psychologische Tod des alten Selbst und die Geburt eines neuen, weit fähigeren Selbst. Es ist eine schmerzhafte Wiedergeburt. Es ist eine Unwettererprobung, ein Ehre-Feinschliff, eine Humor-Schärfung. Die Belohnung ist tiefe Einsicht.
Diese tiefe Einsicht formt einen Spiegel in uns aus, der die Welt so reflektiert, wie sie ist, statt jener Sicht, die wir durch Konditionierung, Indoktrination oder Gehirnwäsche erlernt haben. Durch jene tiefe Reflexion werden wir zu einem Tropfen in Indras Netz, das Ganze widerspiegelnd. Wir fraktalisieren nach aussen. Wir fraktalisieren nach innen. Wir vernetzen uns. Der Hoffnungsnarr kollabiert in die Hoffnungslosigkeit hinein, nur um in der Hoffnung, dem Schicksal, wieder aufzuerstehen. Der Uneingeweihte (der Hoffnungsnarr) wird zum Eingeweihten (der Hoffnungslose) und wird individualisiert (der Hoffnungsvolle).
Hoffnungslosigkeit ist der Schmelztiegel, in welchem das Elixier gekocht wird. Hoffnung ist die Integration, die Einhegung und das Verkapseln des Elixiers, das es nun magisch macht.
Vorausschauende Wechselseitigkeit (Phase der Rückkehr):
„Alles, was ausgestaltet wird, wird passabler.“ ~ Emil Cioran
Nachdem wir jenseitige Geheimnisse gesammelt haben (tiefe Weisheit, hoffnungslose Liebe, die Erfahrung des Überlebens), ist es nun an der Zeit, all dies in Kunst zu transformieren.
Schmerz ist die magische Zutat innerhalb der Kunst, die sie bedutungsvoll, wertvoll und lohnenswert macht. Kunst ohne Schmerz ist eine blosse Schminke. Kunst, die von Schmerz durchdrungen ist, ist transzendent, jenseitig, transformierend und transportierend. Der Schmerz trifft den Kern des menschlichen Daseins und schleift uns in höhere Erfahrungsebenen.
Dies offenbart eine tiefe Offenbarung: Das Herz der Hoffnung ist die Hoffnungslosigkeit. Sie ist das perfekte Yin & Yang. Sie ist existenziell masochistisch. Dies sind die tiefgreifenden Ingredienzien der geschichtenerzählenden Medizin des magischen Elixiers.
Es ist schmerzhaft, dich selbst zu exponieren. Es ist schmerzhaft, verletzlich zu sein, doch jene Menschen, die das tun, sind die Träumer, die Innovatoren und die Schöpfer des magischen Elixiers. Sie bringen die hart erarbeitete Geheimnisse als Geschenk der harten Liebe dem Stamm zurück. Sie entscheiden sich, zur Medizin zu werden, die nur entdeckt werden kann, während wir uns in den tiefen Geburtswehen befinden, die Reise zu gestatten (Hoffnungslosigkeit). Dann bringen sie diese mächtige Medizin in Form von Hoffnung zum Stamm zurück.
Das magische Elixier ist eine Quadratur des Kreises. Es ist ein Hacken des Geistes Gottes. Dort, wo der Kreis die unendliche Verbundenheit aller Dinge (Gott) ist und das Quadrat das magische Elixier ist (der Sinn, den es innehält), welches wir in die Welt zurückbringen.
Diejenigen, die das magische Elixier in sich tragen, haben Zugang zu den Kreuzungen zwischen der Natur und der menschlichen Seele. Sie können die Kluft überbrücken zwischen dem Heiligen und dem Banalen. Erst auf der Brücke zurück zum Stamm verpacken und verschlüsseln sie ihre Weisheit neu. Sie nehmen das, was sie in der Wildnis gelernt haben, und entwickeln neue Formen von Mut und Durchhaltevermögen, welche sie dem Elixier hinzufügen.
Sie haben gelernt, die Unendlichkeit in eine begrenzte Form zu pressen. Sie gliedern sie in einen Rahmen ein, in ein Buch, ein Gemälde, einen Trank oder sogar in eine rote Pille. Sie bringen sie dem Stamm zurück oder lassen sie auf dem Weg liegen, damit andere es entdecken mögen. Sie wird legendär, mythologisch, zu etwas, an dem sich gewöhnliche Menschen berauschen können und Zugang zu aussergewöhnlichen Erfahrungen erhalten.
Kulturelle Transformation ist die Daseinsberechtigung des magischen Elixiers. Sie lässt die Kultur sich auf gesunde Weise weiter entwickelt, damit sie weder stagniert, noch erstarrt oder in toten Mustern stecken bleibt.
Diese vorsorgliche Wechselseitigkeit hört nicht auf. Nein. Prozess vor Ergebnis. Reise über dem Ziel. Diejenigen, die einst die Einsamkeit wagten, müssen sie wieder wagen. Sie sind zu sehr damit beschäftigt, das Endliche mit dem Unendlichen zu verbinden, zwischen den Welten zu tanzen und die Abgründe mit mystischer Neukalibrierung und neu erlernten Mythen zu überbrücken, um vom Stamm überwältigt zu werden. Sie müssen das Drehbuch wenden. Sie müssen den Spiess umdrehen. Sie müssen wieder und wieder die Einsamkeit erneut entdecken und mit einem auf den neusten Stand gebrachten magischen Elixier zurückkehren, das den Stamm weiterhin überwältigen wird.
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