geschrieben von Gary Z McGee auf Waking Times, übersetzt von Antares
„Betrachte dir jeden Pfad genau und bewusst. Dann frage dich diese entscheidende Frage: Hat dieser Weg Herz? Wenn er das tut, dann ist der Weg gut. Wenn er es nicht hat, dann ist er nutzlos.“ ~Carlos Castaneda
Die Kunst, sich selbst zu beschatten, ist eine rücksichtslose Form der Selbstüberwindung, die durch die Schriften von Carlos Castaneda populär wurde (er nannte es „sich selbst nachzustellen“ = „stalking the self“), der vom Yacqui-Schamanen Don Juan inspiriert wurde.
Der Beschatter braucht vier wesentliche Eigenschaften: Unbarmherzigkeit, Raffinesse, Geduld und Humor. Die Grundlagen der Kunst des Beschattens sind dreifach: Beschatten des Selbst, Beschatten der Welt und Beschatten des Unbekannten. Lass uns das aufschlüsseln …
Beschattung des Selbst:
„Sei schmelzender Schnee. Wasche dich von dir selbst.“ ~ Rumi
Beschatter sind Sucher. Sie sind unbarmherzige Entdecker. Wenn Beschatter sich selbst beschatten, beschatten sie inneres Wissen, die heilige Weisheit und verborgene Informationen. Sie sind auf der Suche nach dem goldenen Schatten, wo latente Kreativität unter Schichten von Schichten kultureller Konditionierung, religiöser Indoktrination und politischer Gehirnwäsche verborgen ist.
Wenn ein Beschatter sich selbst beschattet, ist er ein Jäger, der gnadenlos Co-Abhängigkeit, Schwäche und Feigheit aufspürt. Er / sie benutzt die Selbstbefragung wie Occams Rasiermesser, rasiert das Überflüssige weg, schneidet jahrelanges falsches Wissen weg, verlernt, was gelernt wurde, schwemmt die Gehirnwäsche fort und re-konditioniert die vorhergehende Konditionierung neu.
Ein Beschatter gräbt ein Loch kühn inmitten seiner eigenen Komfortzone. Er gräbt tief. Er gräbt weiter, hungrig nach etwas mehr, nach etwas, von dem er nicht weiss, was es ist. Er gräbt so lange, bis da nichts mehr zu finden ist als ein knurrender Abgrund, eine seelenerschütternde existenzielle Dunkelheit, die auf ihn eindrängt, die sein zerbrechliches Ego in eine Million kleiner Stücke zerschmettert.
Es ist auf dem Boden des Abgrundes, tief in der dunklen Nacht der Seele, mit seinem zerschmetterten Ego – erneut zusammengesetzt zu einem individuellen Werkzeug für weitere Erkundungen, wenn der Beschatter den Diamanten entdeckt, der im Rohmaterial seiner Seele verborgen ist: das Gold des Schattens.
Das Gold des Schattens ist unsere heilige Wunde, die leuchtet, wie nichts anderes leuchten kann. Es ist die Ansammlung von all den verdrängten Schmerzen, all dem Versagens, den Rückschlägen und den Verlusten, die wir in einem Leben erfahren haben, verpresst zu einer mächtigen Kraft der Dunkelheit, die bewusst gemacht wurde. Es ist unser verdrängter Schatten, vereint mit unserem inneren Licht.
Nachdem er die innere Dunkelheit des Abgrunds seiner Seele entdeckt hat, nimmt der Beschatter das Gold seines Schattens und nutzt es, um aus der ängstlichen Co-Abhängigkeit in die mutige Unabhängigkeit zu klettern. Jetzt ist es an der Zeit, diese neu gefundene Unabhängigkeit – diese Einheit von Abgrund und Gipfel, von Schatten und Licht – zu nutzen, um seine winzige Komfortzone in die Welt auszudehnen.
Das Beschatten der Welt:
„Die Schamanen sagen, das Dasein als Medizinmann damit beginnt, in die Macht der Dämonen zu fallen. Derjenige, der sich selbst aus dem dunklen Ort herauszieht, wird zum Medizinmann, und derjenige, der darin bleibt, ist der Kranke. Du kannst jede psychische Krankheit als eine Initiation betrachten. Sogar die schlimmsten Dinge, in die du herabfällst, sind eine Bestrebung der Initiation, denn das ist etwas, das zu dir gehört.“ ~ Marie-Louise von Franz
Nun, nachdem das Selbst gründlich befragt, das Gold des Schattens entdeckt, Abgrund und Gipfel vereint wurden, ist es an der Zeit für den Beschatter, die Welt zu beschatten. Es ist Zeit für den Beschatter, sich aus der Asche seiner Co-Abhängigkeit zu erheben und die Mauern seiner kleinen Komfortzone einzureissen. Es ist an der Zeit, sein zerbrochenes Ego wieder zu einem individualisierten Ego zusammenzusetzen. Der Beschatter nutzt das Wissen seiner Individuation, um einen Sprung des Mutes aus seiner Komfortzone zu nehmen. Er hat endlich die Ohren, um den Ruf zum Abenteuer zu hören. Er ist bereit, den nächsten Schritt auf seiner Heldenreise zu tun.
Die Welt jedoch ist gefährlich. Ein gut gelebtes Leben ist voller Risiken. Das Abenteuer steht vor der Tür, doch wenn ein Beschatter seine Komfortzone ausdehnt, weiss er, er begibt sich in ein riskantes Abenteuer. Daher die Notwendigkeit des Mutes.
Die Welt zu beschatten ist nichts für schwache Nerven. Es erfordert, alle Institutionen bis zum Nullpunkt in Frage zu stellen. Es erfordert, sich allen sogenannten Autoritäten in den Weg zu stellen. Es erfordert rücksichtslosen zivilen Ungehorsam, der die Machthaber in die Schranken weist. Es erfordert David-ähnlichen Mut, der alle Goliath-ähnlichen Machtstrukturen herausfordert. Manchmal erfordert es sogar amoralisches Handeln, um die Extreme der übermässig moralischen Gutmenschen und unmoralischen Psychopathen auf dieser Welt auszubalancieren.
Ein Beschatter beschattet die Welt mit der gleichen Rücksichtslosigkeit, mit der er sich selbst beschattet hat, und stellt gnadenlos alles in Frage, was die Kultur für selbstverständlich gehalten hat. Er / sie hält überholte Weltanschauungen ins heisse Eisen des universellen Gesetzes und schleudert all das hinaus, was der Hitze nicht standhält. Er / sie zählt Putsche gegen Macht. Er deflationiert die Egos und belebt die Seelen. Er zerschneidet die Fäden, die ihn einst an eine zutiefst kranke Gesellschaft banden, wie eine blosse Marionette, und verwandelt diese Fäden in ein Lasso, mit dem er die Wahrheit einfängt.
Der Beschatter agiert als Spiegel der Welt, die Schatten der anderen offenbarend. Die Menschen fürchten sich vor ihren eigenen Schatten und deshalb fürchten sie auch die schonungslose Ehrlichkeit des Beschatters. Sie schrecken zurück. Sie scheuen. Sie taumeln im langsamen Köcheln ihrer eigenen kognitiven Dissonanz. Nichtsdestotrotz injiziert der Beschatter unerbittlich Wachsamkeit in eine ansonsten schlafwandelnde Welt.
Wenn ein Beschatter die Welt beschattet, wird er zur Welt. Er dehnt seine winzige Komfortzone zu einem mächtigen Horizont aus und subsumiert die Welt. Und der Schatten der Welt ist eine mächtige Sache, in der Tat. Er ist nun bereit für die schwierige Aufgabe, das Unbekannte zu beschatten.
Das Unbekannte beschatten:
„Das Bedürfnis nach einem Mysterium ist grösser als das Bedürfnis nach einer Antwort.“ ~ Ken Kesey
Wenn ein Beschatter das Unbekannte beschattet, geht er in die Zwischenebene, in das Metaphysische. Er beschattet das Unendliche. Er beschattet Gott. Er hinterfragt listigerweise mentale Paradigmen. Er lebt zwischen den Welten, überbrückt die Lücken. Für einen Beschatter ist das Unbekannte lediglich aufschiebendes Wissen, das nur darauf wartet, erkannt zu werden.
Wenn, wie Einstein sagte, „die Vorstellungskraft mächtiger ist als das Wissen“, dann wendet der Beschatter die Kraft seiner Vorstellungskraft auf das Universum selbst an, er beugt sich der Unendlichkeit, trotz seiner eigenen Endlichkeit.
In diesem Sinne wird ein Beschatter zu einem kosmischen Helden. Nachdem er sich aus seiner ko-abhängigen Komfortzone erhoben hat, nachdem er ein gut gelebtes Leben mit dem Gold des Schattens ausgehebelt hat, nachdem er die Verbundenheit aller Dinge durch die Vereinigung von Gipfel und Abgrund umarmt hat, wird der Beschatter zu einem ineinandergreifenden Selbstverwirklicher, der das Prisma des Glanzes seines Schattens in das Grosse Mysterium projiziert. Er hat den auf Angst basierenden Lebensstil hinter sich gelassen und sich einen auf Mut basierenden Lebensstil zu eigen gemacht, der den auf Vorsehung basierenden Lebensstil des kosmischen Heldentums manifestiert.
Das Beschatten des Unbekannten führt fast immer zu hoher Kunst. Läuternder Kunst. Die Art von Kunst, die die Welt verändert, voll von Mythen und Metaphern und existentiellen Leitmotiven. Die Art von Kunst, die zum magischen Elixier wird, das ganze „Stämme“ zum Leben erweckt, das eine ansonsten leblose Welt lebendig werden lässt. Ein Beschatter beschattet das Unbekannte, um das heilige Bekannte zu gebären.
Das Unbekannte zu beschatten ist die Kunst, das Leben bis zum letzten Grad zu leben. Es bedeutet, sich selbst ein Leben aufzuerlegen, das mit dem Mut des Höchsten, mit dem Humor des Höchsten und mit der Ehre des Höchsten gelebt wird. Es bedeutet, Gott an der Kehle zu packen und ihn zu zwingen, all seine Geheimnisse auszuhusten, Blasphemie hin oder her. Es bedeutet, rücksichtslos entschlossen zu sein, das Leben gut zu leben, als leuchtendes Beispiel für diejenigen, die das Leben schlecht leben.
Letztlich bedeutet das Unbekannte zu beschatten, den Tod zu beschatten. Es ist die Jagd nach einem guten Tod, der ein gutes Leben ausgleicht. Wie Castaneda sagte: „Der Tod ist der einzige weise Berater, den wir haben. Wann immer du das Gefühl hast, alles schief läuft und du stehst kurz vor der Vernichtung, wende dich an deinen Tod und frage, ob das so ist. Dein Tod wird dir sagen, dass du dich irrst; dass nichts ausserhalb seiner Berührung von Bedeutung ist. Dein Tod wird dir sagen: „Ich habe dich noch nicht berührt“.“
Über den Autor: Gary ‚Z‘ McGee, ein ehemaliger Navy Intelligence Specialist, wurde zum Philosophen. Er ist der Autor von Birthday Suit of God und The Looking Glass Man. Seine Werke sind inspiriert von grossen Philosophen der Zeitalter und seinem hellwachen Blick auf die moderne Welt.
Ein inspirierender gradliniger Text.Immer weiter, immer weiter. Danke.