In diesem Beitrag wird auf die Themen Chakra-Arbeit, Kundalini und aussersinnliche Erfahrungen aus der Sicht des traditionellen Yoga eingegangen.

Von David Frawley auf yogainternational.com

Die Chakren sind zu einem beliebten Thema im New-Age-Denken, in der Alternativmedizin und im Yoga geworden, ebenso wie die Kundalini – die Schlangenkraft –, die sie energetisiert. Aber es gibt eine wachsende Kluft zwischen der Art und Weise, wie die Chakren heute betrachtet werden, und wie sie in der traditionellen yogischen Literatur betrachtet werden. Heute werden die Chakren hauptsächlich für körperliche Heilung verwendet, dies unterscheidet sich aber von dem yogischen Prozess der Selbstverwirklichung, bei dem es darum geht, über Körper und Geistverstand hinauszugehen; es ist bestenfalls eine Vorstufe dazu. Die Öffnung der Chakren erfordert einen radikalen Bewusstseinsprozess, der gewöhnlich erst nach Jahren der Meditation [der spirituellen Arbeit] eintritt. Es handelt sich nicht einfach um eine emotionale Öffnung oder physische Reinigung.

Heute werden die Chakren, wie auch Yoga, in physischen Begriffen definiert, was ihren eigentlichen Zweck und ihre Funktion verdeckt.

Was man in Bezug auf Chakren beobachten kann ist analog zu dem, was mit dem Begriff Yoga selbst geschehen ist. Yoga bedeutet Meditation, definiert als „die Verneinung der dualistischen Denkprozesse des Geistes“ (Yoga Sutra 1.2). Doch heute bedeutet Yoga in erster Linie Asana (yogische Körperhaltungen). Die sind aber nur ein Hilfsmittel zur Erlangung des Yoga. Chakra (‘Dschkra’ nicht ‘Schakra’, wie viele Menschen es aussprechen) bedeutet „Rad“, wörtlich „das, was sich dreht“. In der yogischen Literatur bezieht es sich auf die sieben vitalen Zentren im subtilen oder astralen Körper, dem Körper der Lebensenergie, der dem physischen Körper zugrunde liegt. Die Öffnung der Chakras ermöglicht die Entfaltung höherer Bewusstseinszustände, die zum Bewusstsein des Höchsten Selbst führen. Doch heutzutage werden die Chakras, wie auch Yoga, in physischen Begriffen definiert, was ihren wirklichen Zweck und ihre Funktion verdeckt.

MISSVERSTÄNDNISSE ÜBER CHAKRA-YOGA UND HEILUNG

In bestimmten Vorstellungen des New-Age werden Ungleichgewichte oder Blockaden der Chakren als die Wurzel von Krankheiten angesehen, die dann durch die Korrektur der Funktion des betroffenen Chakras behandelt werden. Dieses Missverständnis hat eine ganze Gruppe von Therapeuten hervorgebracht, die behaupten, unsere Chakren für uns zu heilen. Andere behaupten, sie könnten unsere Chakren energetisieren und dadurch nicht nur heilen, was uns plagt, sondern uns damit auch inneres Wissen und Erfahrung zu geben. Einige dieser Verfahren können sehr teuer sein, und viele sind höchst spekulativ.

Die meisten Chakrenheilungen heutzutage legen den Schwerpunkt auf äussere Massnahmen wie Edelsteine, Kräuter, Körperarbeit, Klang- oder Farbtherapie und Vibrationsheilung; oft werden verschiedene Maschinen zur Behandlung der Chakren eingesetzt. Darüber hinaus behaupten psychische Heiler, durch ihre mentalen oder okkulten Kräfte direkt an den Chakren zu arbeiten. Die Arbeit an den Chakren mit solchen Methoden soll sie öffnen oder wecken oder höhere Bewusstseinszustände in der behandelten Person herbeiführen.

Der yogische Ansatz zielt nicht darauf ab, die Chakren zu Heilungszwecken zu öffnen, auch nicht zur Erlangung okkulter Kräfte, das Öffnen der Chakren wird stattdessen als ein Teil des Prozesses der Selbsterkenntnis betrachtet. Dazu bedient sich der Yoga innerer Praktiken wie Mantra, Pranayama und Meditation, die wir für uns selbst durchführen müssen; äussere Mittel wie Ernährung oder Kräuter sind nur sekundäre Hilfen.

Nach den Auffassungen des Yoga sind die Chakren im gewöhnlichen menschlichen Zustand geschlossen, d.h. sie funktionieren nicht wirklich. Dieser Zustand wird selten überschritten, meist ist eine fortgesetzte spirituelle Praxis notwendig. Die Folge von geschlossenen Chakren ist nicht Krankheit, sondern Unwissenheit. Diese Unwissenheit besteht darin, die äussere Welt als die wahre Realität zu betrachten und ohne Bewusstsein des Wahren Selbst zu leben, das weder Körper noch Geist ist, sondern gedankenfreies Bewusstsein. Die eigenen Chakren können geschlossen sein, und doch kann man gesund, emotional ausgeglichen, geistig kreativ und in vielen Lebensbereichen erfolgreich sein. Der Zweck der Öffnung der Chakren besteht nicht darin, die eigenen Fähigkeiten in den gewöhnlichen Bereichen des menschlichen Lebens zu verbessern, sondern über unser sterbliches und vergängliches Suchen nach der unsterblichen Essenz hinauszugehen.

Der traditionelle Yoga betrachtet die Chakren als nur sekundär die körperlichen Funktionen beeinflussend.

Heute werden die Chakren allgemein als Kraftzentren innerhalb des physischen Körpers beschrieben, wobei der Sushumna Nadi, der zentrale Kanal, mit der Wirbelsäule identifiziert wird. Die Chakren stehen in Beziehung zu verschiedenen Wirbelsäulenzentren und den physiologischen Prozessen, die sie steuern, wie z.B. Verdauung, Atmung oder Fortpflanzung. Im traditionellen Yoga werden die Chakren jedoch nur in sekundärer Weise als die körperlichen Funktionen beeinflussend betrachtet.

Die gegenwärtige Tendenz, die Chakren mit ihren entsprechenden Funktionen im physischen Körper zu verwechseln, beruht auf einem mangelnden Verständnis der Natur und Funktion des feinstofflichen Körpers. Der feinstoffliche Körper ist das subtile Gegenstück zum physischen Körper und hat eine ähnliche Form. Dennoch besteht er aus einer feineren Materie als jene im physischen Raum dieser Welt und kann von den physischen Sinnen nicht wahrgenommen werden. Er gehört einer anderen Existenzebene an, zu der wir normalerweise nur in Traumzuständen oder nach dem Tod Zugang haben. Der feinstoffliche Körper erlaubt es der Lebenskraft, in den physischen Körper einzutreten, und ohne ihn könnte sich der Körper nicht bewegen. Der feinstoffliche Körper ist immer innerhalb des physischen Körpers aktiv, als Quelle seiner Vitalität, obwohl seine Aktivität durch den Schleier der physischen Zustände verdeckt ist.

Die Chakren sind nicht Teil der gewöhnlichen Funktionsweise des feinstofflichen Körpers. Sie übernehmen nur in Zuständen erhöhten Bewusstseins oder spirituellen Erwachens eine bedeutende Rolle. Sie repräsentieren die Öffnung oder die Verschmelzung des feinstofflichen Körpers mit dem darüber hinausgehenden Bewusstsein. Obwohl es möglich ist, physische und subtile Körperkomponenten und -funktionen in einen Zusammenhang zu bringen, sollten wir erkennen, dass die beiden nicht dasselbe sind, und dass der geistig geöffnete Astral- oder Subtilkörper etwas ganz anderes ist.

KUNDALINI

Wenn die Chakren in Funktion treten sollen, brauchen sie eine andere, viel höhere Energiequelle als die, die der physische Körper bereitstellen kann. Das ist die Rolle der Kundalini oder Schlangenkraft, die im feinstofflichen Körper schlummert. Die Kundalini ist weder eine physische Kraft, noch ist sie eine Energie, die man mit persönlicher Kraft manipulieren kann. Kundalini ist die konzentrierte Energie des Gewahrseins oder der Aufmerksamkeit. Sie ist keine vom Bewusstsein getrennte Energie, sondern vielmehr die Energie, die sich mit dem Bewusstsein manifestiert, wenn es frei von Gedanken wird. Nur wenn ein Mensch einen auf das Eins ausgerichteten Geist hat, kann die Kundalini wirklich in Aktion treten, denn nur dann hat man die Möglichkeit, sich über das Denken hinaus zu bewegen.

Das Erwachen der Kundalini erfordert, dass Prana oder die Lebenskraft in das Sushumna oder den zentralen Kanal eintritt. Dies geschieht, wenn das Prana durch den Denkprozess auf die äussere Welt aus seiner Fixierung zurückgezogen wird. Solange unsere Lebensenergie mit dem physischen Körper und seinen Funktionen identifiziert ist, kann sie nicht in den zentralen Kanal zurückgezogen werden. Aus diesem Grund beinhaltet das Erwecken der Kundalini und das Öffnen der Chakren einen Zustand des Samadhi, in dem wir das gewöhnliche Bewusstsein verlassen. Am Anfang geht es dabei gewöhnlich um einen Trancezustand, in dem wir uns des physischen Körpers unbewusst werden. Später kann dies im Wachzustand geschehen, ohne Beeinträchtigung der physischen Handlung, aber in diesem Stadium wird der physische Körper nicht mehr als die wahre Identität des Menschen erfahren.

Eine genauere, aber einfachere Art, die Chakren zu benennen, besteht darin, sie nach den Elementen, denen sie zugeordnet sind, zu beschreiben.

DIE CHAKREN UND DIE PHYSISCHEN ORGANE

Da die Sanskrit-Bezeichnungen für die Chakren für uns schwerfällig sind, hat es eine Tendenz gegeben, sie nach ihrer entsprechenden physischen Lage zu benennen: Kronen-Chakra, Stirn-Chakra, Hals-Chakra, Herz-Chakra, Nabel-Chakra, Sexual-Chakra und Wurzel-Chakra. Das ist zwar praktisch, verstärkt aber auch die Tendenz, die Chakren mit dem physischen Körper zu verwechseln. Eine genauere, aber einfachere Art und Weise, die Chakras zu benennen, ist nach den Elementen, über die sie herrschen: Erde für die Basis der Wirbelsäule, Wasser für die Urin-Genital-Region, Feuer für den Nabel, Luft für das Herz, Äther für die Kehle, Geistverstand [engl. mind] für das dritte Auge und Bewusstsein für das Kronen-Chakra.

Es sind jedoch die kosmischen Funktionen dieser Elemente, zu denen die geöffneten Chakren Zugang gewähren, und nicht ihre gewöhnlichen Aspekte als Bestandteile unserer persönlichen physischen Existenz. Die geöffneten Chakren vermitteln das Wissen um die Einheit der objektiven Bestandteile des Universums (Elemente), zusammen mit den Instrumenten der Erkenntnis (Sinnesorgane) und den Instrumenten der Handlung (Handlungsorgane), die die subjektiven Bestandteile des Universums sind. Wenn die Chakren geöffnet sind, erfahren wir die kosmische Natur dieser Elemente in unserem eigenen tieferen Bewusstsein.

Um die subtilen Zentren in Funktion zu bringen, müssen die groben oder physischen Zentren in einen Zustand der Ruhe oder des Gleichgewichts versetzt werden. Deshalb entwickeln die Praktiken des Yoga die Stille von Körper, Atem, Sinnen und Geist (Asana, Pranayama, Pratyahara und Dharana). Zum Beispiel bedeutet das Wasserchakra richtig zu öffnen nicht, einen erhöhten Sexualtrieb zu haben. Im Gegenteil, es setzt voraus, dass das physische Sexualorgan in einen Latenzzustand übergeht und dass der Sexualtrieb sublimiert wird.

In ähnlicher Weise ist ein offenes Luftchakra zu haben etwas ganz anderes, als sich in einem erhöhten, verletzlichen oder übermässig emotionalen Zustand zu befinden. Um dieses vierte Chakra zu erwecken, müssen wir über rein persönliche Emotionen hinausgehen und die kosmische Energie hinter allen emotionalen Schwankungen verstehen. Dies erfordert eine Öffnung für die universellen Gefühle des Mitgefühls und der Hingabe und den Kontakt mit der universellen Lebenskraft.

Streng genommen gibt es daher kein Chakra wie das Sexualzentrum oder das Herzzentrum oder irgendein anderes Chakra im Sinne einer rein physischen Funktion. Es gibt ein Chakra, das sich im subtilen Körper in einem Bereich befindet, der der Region der Geschlechtsorgane im physischen Körper entspricht und der sein subtiles Gegenstück ist. Das richtig geöffnete zweite Chakra befasst sich also nicht mit den Funktionen der physischen Geschlechtsorgane, sondern mit dem kosmischen Element Wasser und seinen entsprechenden Aktivitäten. Es als Sexualzentrum zu bezeichnen, lädt zu Fehlinterpretationen ein.

Zu den Zeichen eines geöffneten Chakras gehört eine entsprechende Kontrolle über und Loslösung von den physischen Elementen und Organen. Solange man mit den physischen Organen und ihren Funktionen voll verbunden ist, können die subtilen Organe nicht ins Spiel kommen. Das Erwachen des Bewusstseins hinter dem subtilen Körper beinhaltet die Fähigkeit, den groben Körper und seine Funktionen wie einen schweren Mantel abzulegen, der an einem warmen Sommertag nicht mehr nötig ist.

ZEICHEN DER CHAKRA-ÖFFNUNG

Um einen Eindruck davon zu vermitteln, was geschieht, wenn die Chakren geöffnet werden, wollen wir die Zeichen der Öffnung untersuchen, Chakra für Chakra. Beachte, dass diese Kennzeichen allgemein sind. Die Erfahrungen sind unterschiedlich, insbesondere was die Phänomene oder Kräfte betrifft. Die Haupterfahrung ist ein sich vertiefendes Gefühl für die Einheit des Universums mit der eigenen Selbst-Natur.

Untersuchen wir, was es heisst, ein geöffnetes Chakra zu haben – Chakra für Chakra.

ERDCHAKRA

Wenn das erste Chakra geöffnet wird, wird man sich des kosmischen Erdelements und der zugrunde liegenden Einheit aller festen Materiezustände als Kristallisation der Bewusstseinsenergie bewusst. Man erfährt die Eigenschaften des kosmischen Erdelements – wie Härte, Rauheit, Dichte und Textur – als verschiedene Schwingungszustände des eigenen Bewusstseins. Man kann verschiedene subtile oder himmlische Düfte wahrnehmen. In ähnlicher Weise versteht man alle prägenden Handlungen im Universum als unterschiedliche Wirkungsweisen der kosmischen Erdenergie in ihrer Fähigkeit, Form zu erzeugen und aufrechtzuerhalten.

WASSERCHAKRA

Wenn das Wasserchakra geöffnet wird, wird man sich des kosmischen Wasserelements und der zugrunde liegenden Einheit aller flüssigen Aggregatzustände als Kristallisation der Bewusstseinsenergie bewusst. Man kommt dazu, die Qualitäten des Wasserelements – wie Weichheit, Nässe, Kühle und fliessende Natur – als verschiedene Schwingungszustände des eigenen Bewusstseins zu erfahren. Man kann verschiedene subtile oder himmlische Geschmäcker als eine Essenz (rasa) wahrnehmen, die von allen Erfahrungen ausgeht. In ähnlicher Weise versteht man alle reinigenden Handlungen im Universum als unterschiedliche Funktionsweisen der kosmischen Wasserenergie in ihrer reinigenden Rolle.

FEUERCHAKRA

Wenn das dritte Chakra geöffnet wird, wird man sich des kosmischen Feuerelements und der zugrunde liegenden Einheit aller strahlenden Materiezustände als Kristallisation der Bewusstseinsenergie bewusst. Man erfährt die Qualitäten des Feuerelements – wie Licht, Farbe, Wärme und Erleuchtung – als verschiedene Schwingungszustände des eigenen Bewusstseins. Man kann auch subtile Anblicke und Visionen erleben und die Ausstrahlung oder Aura hinter den Dingen wahrnehmen. In ähnlicher Weise versteht man das Wirken der kosmischen Feuerenergie in ihrer Leuchtkraft hinter allen Erscheinungen im Universum.

LUFTCHAKRA

Wenn das vierte Chakra geöffnet wird, wird man sich des kosmischen Luftelements und der zugrunde liegenden Einheit aller gasförmigen Materiezustände als Kristallisation der Bewusstseinsenergie bewusst. Man erfährt die Eigenschaften des Luftelements – wie Bewegung, Veränderlichkeit, Subtilität und Durchdringung – als verschiedene Schwingungszustände des eigenen Bewusstseins. Man kann auch subtile Energiekontakte wahrnehmen und die zugrunde liegenden Schwingungsenergien der kosmischen Lebenskraft fühlen. In ähnlicher Weise versteht man hinter allen Kontakten im Universum das Wirken der kosmischen Luftenergie in ihrer energetisierenden Rolle.

ÄTHERISCHER CHAKRA

Wenn das fünfte Chakra geöffnet wird, wird man sich des kosmischen Äther-Elements und der zugrundeliegenden Einheit des gesamten Raums im Universum als einer Kristallisation der Bewusstseinsenergie bewusst. Man erfährt die Qualitäten des Raumes – wie Leichtigkeit, Subtilität, Durchdringung und Klarheit – als verschiedene Schwingungszustände des eigenen Bewusstseins. Man kann auch subtile Klänge wahrnehmen und die zugrunde liegende räumliche Struktur des Universums erkennen. In ähnlicher Weise versteht man hinter allen Schwingungen im Universum das Wirken des kosmischen Äther-Elements als ihre Matrix.

GEISTVERSTAND-CHAKRA ODER DRITTES AUGE

Wenn das sechste Chakra geöffnet wird, wird man sich des kosmischen Geistes bewusst und wird sich der zugrundeliegenden Einheit allen Geistes im Universum als einer Kristallisation der Bewusstseinsenergie bewusst. Man erfährt die Qualitäten des Geistverstandes – wie Wahrnehmungsfähigkeit, Kreativität, Unterscheidungsvermögen und Losgelöstsein – als verschiedene Schwingungszustände des eigenen Bewusstseins. Man erlangt die Fähigkeit, alle kosmischen Elemente und ihre jeweiligen Organe und Funktionen durch die Aktivität des erwachten Geistverstandes zu integrieren. Man erlangt die Meisterschaft über den Verstand und kommt zu einem kontinuierlichen Strom göttlicher Wahrnehmungen. Man erkennt, dass alles, was wir denken, eine Manifestation des kosmischen Geistprinzips ist.

BEWUSSTSEINS-CHAKRA

Wenn das siebente Chakra geöffnet wird, wird man sich des Selbst oder des reinen Bewusstseins bewusst als der einzigen Realität, die der gesamten Substanz des Universums zugrunde liegt. Man erfährt die Qualitäten des Bewusstseins – wie Unendlichkeit, Unsterblichkeit, Frieden und Glückseligkeit – als die eigene Natur und als das, was der Natur des Universums zugrunde liegt. Man erlangt die Herrschaft über das Bewusstsein und verbleibt in einem Zustand der Selbstverwirklichung, indem man sich selbst in allen Wesen und alle Wesen in sich selbst sieht. Man erkennt, dass alle Dinge Manifestationen des Höchsten Selbst sind, das die einzige Realität ist.

Es gibt auch allgemeine Anzeichen für das Erwachen subtiler Energien und Fähigkeiten, wie das Erleben subtiler Klänge, Lichter, Visionen von Gottheiten und so weiter, im Allgemeinen im Bereich des dritten Auges. Solche Erfahrungen können aber lange vor der Öffnung eines bestimmten Chakras kommen.

PSYCHISCHE ERFAHRUNGEN UND KRÄFTE

Jedes Chakra kann ein Bewusstsein für entsprechende Ebenen des Universums oder verschiedene Welten jenseits des Physischen vermitteln. Die entsprechenden Unterebenen des Astraluniversums, die ganz wunderbar jenseits von allem in der physischen Welt sind, können für unsere Erfahrung zugänglich werden. In ähnlicher Weise können wir Einsichten gewinnen in die subtilen Funktionsweisen der Natur, der Sinne, der Lebenskraft und des Prozesses der kosmischen Schöpfung und der Macht über sie.

Jedes Chakra kann ein Bewusstsein für entsprechende Ebenen des Universums oder verschiedene Welten jenseits des Physischen vermitteln.

Doch nicht alle Yogis entscheiden sich dafür, die Welten oder die Fähigkeiten zu erforschen, die sich auf die Chakren beziehen. Viele grosse Jnanis, die Yogis des Pfades des Wissens, streben danach, direkt in die reine Einheit oder die Verschmelzung mit dem Absoluten zu kommen. In ihrem Erwachen werden sie die Unterscheidungen der Chakren und ihrer Funktionen kaum wahrnehmen. Ramana Maharshi verkörperte diesen Standpunkt. Für ihn gab es nur ein Chakra oder Zentrum, das Selbst, von dem aus alle Phänomene der grob- und feinstofflichen Welten und Körper wie die Bilder in einem Spiegel oder wie Blasen auf den Wellen des Meeres erschienen.

VORZEITIGE CHAKRA-ÖFFNUNG

Die Öffnung der Chakren erfordert Reinheit von Körper, Herz und Geist. Sie kann nicht willentlich oder gewaltsam durchgeführt werden, noch kann sie in einem Zustand emotionalen Gestörtseins erfolgen. Versuche, die Kundalini zu erwecken, ohne zuvor Körper und Geist gereinigt zu haben, führen oft zu Nebenwirkungen, bei denen der Geist oder die pranische Kraft gestört wird, was zu verschiedenen illusorischen Erfahrungen führt. Aus diesem Grund hat die traditionelle yogische Literatur immer das Richtige Leben (wie eine vegetarische Ernährung und die Kontrolle der sexuellen Energie) und die Richtige Einstellung betont (wie Gewaltlosigkeit, Besitzlosigkeit und die anderen in den Yamas und Niyamas [siehe zum Beispiel hier]  enthaltenen Observanzen und Beschränkungen).

Es ist möglich, anomale Kundalini- oder Chakra-Erfahrungen zu machen, obwohl die meisten Erfahrungen, die als vorzeitiges Kundalini-Erwachen bezeichnet werden, in Wirklichkeit nervöse oder geistige ‘Störungen’ eher gewöhnlicher Natur sind. Auch wenn der Geist nicht gereinigt ist, kann es zu einer erhöhten Aktivität der unteren Chakren kommen, die mit einer Zunahme der entsprechenden körperlichen Triebe einhergeht. Deshalb heisst es in den Yogatexten, dass Wesen asurischer oder höchst egoistischer Natur die Chakren bis zum Nabel öffnen können, aber ihre Erfahrungen werden dadurch verdorben, und die Funktion der Chakren wird gestört.

DIE GRENZEN DER HEILER

Bestimmte Heiler können die physischen Gegenstücke der Chakren mit externen Hilfsmitteln oder mit psychischen Energien beeinflussen – was bei der Behandlung verschiedener physischer oder emotionaler Ungleichgewichte hilfreich sein kann –, aber das wahre Erwachen der Chakren kann für uns nicht durch eine externe Person erreicht werden. Keine äussere Person, Maschine oder irgendein Gegenstand kann deine Chakren auf ihrer yogischen Funktionsebene für dich öffnen. Die Verwendung von bestimmten Diäten, Kräutern oder Edelsteinen kann hilfreich sein, um den Weg für die Öffnung der Chakren vorzubereiten, aber das sind nur äussere Unterstützungen. Sie können die Chakren nicht mehr öffnen, als Asanas   aus sich selbst Meditation erzeugen können. Ein Guru, oder einer, in dem das innere Bewusstsein erweckt ist, kann zwar Anleitung oder Initiationserfahrung geben, aber er kann die Arbeit nicht für uns tun. Die wirkliche Öffnung der Chakren erfordert die versierte Praxis des Yoga, die Jahre, manchmal sogar lebenslang dauern kann und die sich aus tieferen yogischen Praktiken von Pranayama, Mantra und Meditation zusammen mit einem disziplinierten Lebensstil ergibt.

Keine externe Person, Maschine oder Gegenstand kann deine Chakren auf ihrer yogischen Funktionsebene für dich öffnen.

Vor allem sollten wir verstehen, dass das Öffnen der Chakren kein Selbstzweck ist, sondern Teil des Prozesses der Selbstverwirklichung, der in erster Linie entweder durch Hingabe an das Göttliche (Bhakti / Hingabe) oder durch die Erforschung der wahren Natur (Jnana / Wissen) geschieht. Die gegenwärtige Tendenz, sich auf die technischen Einzelheiten der Chakren zu konzentrieren, anstatt Hingabe oder Weisheit zu entwickeln, zeigt, dass wir nicht verstanden haben, worum es bei der spirituellen Praxis wirklich geht. Das ist analog dazu, wie wenn wir uns mehr mit der Physiologie des Magens befassen als mit der Qualität der Nahrung, die wir essen. Die Chakren sind Landkarten. Sie zeigen den Weg und zeigen die Seitenwege an, auf denen man sich verirren kann. Wichtig ist die Verbindung zu diesem Ziel, in dem man über alles Suchende hinausgeht.

SIDDHIS

In der yogischen Literatur spricht man von verschiedenen Siddhis oder yogischen Kräften, wie der Kraft zu schweben oder der Kraft, so gross oder klein zu werden, wie man will. Wenn sich die Chakren öffnen, können diese entsprechenden Kräfte im feinstofflichen Körper erfahren werden. Diese Siddhis beziehen sich in erster Linie auf den feinstofflichen Körper, der als feinstoffliche Materie völlig formbar ist. Es ist fast unmöglich, diese Siddhis in den physischen Körper, so grob und dicht wie er ist, zu übersetzen und in jedem Fall ist dies nicht das Ziel yogischer Praktiken.

Darüber hinaus gibt es viele subtile Energien, die zwischen dem gewöhnlichen physischen Bewusstsein und dem wahren Erwachen der Kundalini und der Chakren existieren. Wir sollten eine aussergewöhnliche Erfahrung nicht als eine Erleuchtung oder eine Kundalini-Erfahrung betrachten. Visionen, ausserkörperliche Erfahrungen, Trancen, Channeling, mystische Träume, Genialität, Inspiration verschiedenster Art und andere solche Zustände haben ihren Ursprung oft in anderen Teilen des Geistes und sind nicht unbedingt spirituelle Erfahrungen. Selbst wenn sie legitim sind, können solche spirituellen Erfahrungen immer noch hinter dem wirklichen Erwachen der Kundalini zurückbleiben und sollten sicherlich nicht mit der Selbstverwirklichung verwechselt werden, die die volle Entwicklung unseres Bewusstseins voraussetzt, ohne dass wir uns einem Wesen oder einer Erfahrung ausserhalb unserer selbst hingeben.